Merkel und Scholz optimistisch: Koalition nach Klausur zielorientiert

Hat das Wohlfühlklima beim ersten Treffen des Kabinetts Merkel IV
geholfen? Die Kanzlerin und ihr Stellvertreter äußern sich zufrieden.
Offen ist, wie lange der Frieden hält.

Meseberg (dpa) - Die Spitzen der neuen großen Koalition starten nach
dem Gerangel der vergangenen Wochen optimistisch und zielorientiert
in die konkrete Regierungsarbeit. Der Wille zur Einigung sei da,
sagte Kanzlerin Angela Merkel (CDU) am Mittwoch zum Ende der ersten
Klausur ihres vierten Kabinetts in Meseberg nördlich von Berlin. «Der
Geist war insgesamt gut. Sehr kooperativ.» Vizekanzler Olaf Scholz
(SPD) sagte in einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Merkel:
«Teambuilding gelungen. Der Rest kommt jetzt.» Scharfe Kritik an den
Ergebnissen des Treffens kam von der Linksfraktion.

Merkel sagte, alle Regierungsmitglieder seien sich bewusst, dass sie
auch Aufgaben, die nicht im Koalitionsvertrag stünden, «gemeinsam
lösen und bewerkstelligen wollen. Also Verantwortung für das Land
übernehmen wollen.» Ziel der Klausur sei gewesen, «sich gegenseitig
kennenzulernen, Arbeitsfähigkeiten herzustellen und einfach von außen
mal aufzunehmen, was man an Erwartungen an uns hat» und nicht die
Diskussion über eine detaillierte Vorhabenplanung.

Am Vortag hatte das Kabinett die Spitzen von Gewerkschaften und
Arbeitgebern sowie EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker sowie
Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg zum Meinungsaustausch
empfangen.

Die Kanzlerin bemühte sich, Verständnis für die Diskussionen der
ersten Regierungswochen zu wecken. Bei den Ressortabstimmungen zum
Familiennachzug sei gleich von Streit die Rede gewesen, kritisierte
sie. Es werde auch künftig Debatten geben, «denn es wird ja auf der
einen Seite immer erwartet und auch gehofft, dass Meinungsbildungen
transparent ablaufen, dass Parteien auch mit ihren Positionen
erkennbar sind». Dies bedeute, «dass wir nicht alle morgens aufwachen
und immer den gleichen Gedanken haben». Es gehe um unterschiedliche
Persönlichkeiten und Mitglieder unterschiedlicher Parteien und darum,
dass «auch Grundüberzeugungen durchaus unterschiedlich sind».

Finanzminister und Vizekanzler Scholz sagte, die Koalition sei nun
gut gestartet. Die Regierung könne konstruktiv sein und werde «auch
den dementsprechenden Erfolg» haben können. Europa sei das wichtigste
nationale Anliegen. Die Zukunft der Arbeit werde ebenfalls zentrales
Thema sein. «Die einzelnen Ressortchefinnen und Ressortchefs machen
sich jetzt an die Arbeit, um das Stück für Stück umzusetzen.»

In der Dieselkrise äußerte sich Merkel skeptisch zu umfangreichen
technischen Nachrüstungen von Dieselfahrzeugen. Diese seien «relativ
kostenintensiv». Die Regierung habe aber klare Erwartungen an die
Autoindustrie, die «erkennbar gravierende Fehler» gemacht habe.
«Dafür kann weder der Kunde gerade stehen noch der Steuerzahler,
sondern dass muss so weit wie möglich von der Automobilindustrie
wieder in Ordnung gebracht werden.»

Merkel kündigte als Ergebnis der Klausur an, dass die Kommission zur
Vorbereitung der Kohleausstiegs von Wirtschafts- und
Umweltministerium gemeinsam mit den Ressorts für Arbeit und Inneres
gesteuert werde. Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU),
Umweltministerin Svenja Schulze (SPD), Arbeitsminister Hubertus Heil
(SPD) und Innenminister Horst Seehofer (CSU) würden «gemeinsam in
dieser Kommission arbeiten». Die Geschäftsstelle werde bei Altmaier
angesiedelt. Die Federführung für die Kommission war zuletzt
umstritten. Scholz sagte, es gehe um die zentrale Frage, den
Betroffenen eine gute Perspektive zu bieten.

Linken-Chef Bernd Riexinger bemängelte, die Klausur sei «als reine
Wohlfühlveranstaltung ohne konkrete Ergebnisse geplant» worden. «Die

drängenden Probleme in diesem Land wie prekäre Beschäftigung, Kinder-

und Altersarmut, Wohnungsnot, Klimaschutz und Pflegenotstand mussten
außen vor bleiben.» Die Autoindustrie könne sich dagegen auch künft
ig
auf die Koalition «als willige Lobbyisten verlassen». Der
Geschäftsführer der Linksfraktion, Jan Korte, spottete, es sei
verwunderlich, dass sich die Koalitionäre zum Kennenlernen treffen
müssten, obwohl sie seit Jahren zusammen regierten.