Schlossherrin Merkel und die trügerische Idylle Von Georg Ismar und Ruppert Mayr, dpa

Das Kabinett macht einen Ausflug ins Grüne. Kanzlerin Merkel hat es
nicht leicht mit den Fliehkräften in ihrer Koalition - und jenseits
des «Zauberschlosses» in Meseberg braut sich einiges zusammen.

Meseberg (dpa) - Wie hingemalt liegt das weiße Barockschloss am
Hugenowsee, der Rasen wird noch für die hohen Gäste gesprengt. Ein
Postkartenmotiv. Durch die vielen Maulwurfshügel sind vor dem
Schlosszaun die Übertragungskabel für die TV-Sender verlegt, so viel
Polizei ist sonst nie in dem kleinen brandenburgischen Dorf Meseberg.
Ein Mann brüllt mehrfach Richtung Schloss: «Merkel muss weg» und
«Volksverräterin». Schon diese Szene zeigt, anno 2018 ist einiges
anders im Land. Und auch im Kabinett ist die Polarisierung spürbar.

Zunächst gibt es das übliche Prozedere zu Beginn einer Klausur des
Kabinetts in Schloss Meseberg, dem Gästehaus der Bundesregierung, das
Theodor Fontane bei seinen Wanderungen durch die Mark Brandenburg als
«Zauberschloss» adelte. Eine schwarze Limousine nach der anderen
fährt in den Hof, die Ministerinnen Julia Klöckner (CDU/Agrar) und
Katarina Barley (SPD/Justiz) tauschen sich über die Herausforderung
aus, mit Stöckelschuhen über das Feldsteinpflaster zu laufen.

Kanzlerin Angela Merkel grüßt mit Vizekanzler Olaf Scholz (SPD) und
den beiden Gästen, Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer und DGB-Chef
Reiner Hoffmann, von der Schlosstreppe, dann geht es an die Arbeit -
erstes großes Thema ist der Weg hin Richtung Vollbeschäftigung. «Das

gute Wachstum und die sehr gute Arbeitsmarktlage sind keineswegs in
Stein gemeißelt», mahnt aber Arbeitgeberpräsident Kramer die
Koalitionäre. «Ich habe den Eindruck, dass bei manchen
Politikprojekten diese Lage als selbstverständlich für die nächsten
Jahre fortgeschrieben wird.» Doch die Zinsen könnten wieder steigen,
die USA drohen mit einer neuen Abschottung und Strafzöllen, und in
Deutschland fehlen Fachkräfte.

Im Schlossgarten betont Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU), so
eine Klausur sei wie ein «Politikcamp», die Bürger erwarteten, «das
s
wir miteinander Lösungen finden». Es ist eine Tradition geworden,
sich zu Beginn einer neuen Regierung zwei Tage, weit weg von der
Hektik Berlins in die Idylle Brandenburgs zurückzuziehen, unterstützt
von externen Experten. Dieses Mal so spät wie noch nie in der seit
2005 andauernden Amtszeit Merkels, wegen der langen
Regierungsbildung. Abends trinkt man ein Gläschen - und baut manches
Vorurteil ab, denn eigentlich sind die «Schwarzen» und «Roten» ja
politische Gegner.

Spätestens seit dem Agieren in der Flüchtlingskrise und Merkels
Aussagen, man könne die Grenze nicht einfach dichtmachen, hat sich
das Land verändert. Die AfD beeinflusst mit ihren Wahlerfolgen die
Agenda der großen Koalition von Union und SPD, die sich noch einmal
zu einer Regierung durchgerungen haben - obwohl sie gemeinsam fast 14
Prozentpunkte verloren hatten. In der SPD sehen sie einen erheblichen
Autoritätsverlust bei Merkel, Innenminister Horst Seehofer (CSU) und
Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) sind durch den Dissens mit
Merkel beim Flüchtlingsthema zu Widersachern geworden - auch durch
die Einbindung ins Kabinett lassen sie sich kaum disziplinieren.

Sie bestimmen derzeit die Debatte, sei es mit der rhetorischen Frage,
ob der Islam zu Deutschland gehört oder ob der Staat in Deutschland
in einigen Gegenden nicht mehr in der Lage ist, Recht durchzusetzen.
Beim Familienfoto im Schlossgarten schiebt Merkel Spahn auf die
Seite, damit sie mit Scholz und Seehofer nach vorne in die Mitte
kommt.

Taktik der SPD ist es, die Füße stillzuhalten, durch gutes Regieren
Vertrauen zurückzugewinnen. Aber gewinnt man Profil, wenn man wenig
sagt, um den Konflikt innerhalb der Union greller strahlen zu lassen?
Doch diese Befind- und Empfindlichkeiten gehen vielleicht etwas an
der Problemlage in der Welt vorbei. Bundespräsident Frank-Walter
Steinmeier mahnte zuletzt aus Indien, dass Deutschland und die EU
endlich wieder über ihren Tellerrand schauen müssten, der frühere
Grünen-Außenminister Joschka Fischer malte in seinem neuen Buch den
«Abstieg des Westens» an die Wand.

Während das Kabinett versucht, im Schloss in Ruhe einen Teamgeist zu
entwickeln und einen Zauber des Anfangs doch noch zu finden, passiert
in der Welt draußen so einiges. US-Präsident Donald Trump sagt am
Dienstag eine Südamerikareise ab, begründet wird dies mit einer neuen
Verschärfung in Syrien - bei einem möglichen Chemiewaffen-Angriff in
der syrischen Stadt Duma soll es Dutzende Tote und Hunderte Verletzte
gegeben haben. Syrien und sein Partner Russland bestreiten dies. Die
Lage bietet viel Gesprächsstoff für den Austausch mit
Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg, der von Merkel ins Schloss
Meseberg eingeladen wurde. Ebenso EU-Kommissionspräsident Jean-Claude
Juncker. Die EU ist inmitten dieser Stürme in keiner guten
Verfassung.

So ist die Lage fragil, ist die Koalition für die Stürme gerüstet? Ob

man wirklich 46 Milliarden Euro zusätzlich ausgeben kann, unter
anderem für Renten, Bildung, eine bessere Vermittlung von
Langzeitarbeitslosen, Internetausbau und mehr Sozialwohnungen, das
steht in den Sternen.

«Sie müssen sich jetzt zusammenraufen und mit der Arbeit beginnen»,
mahnt DGB-Chef Hoffmann. Im Inland kündigt während der Klausur der
vom Dieselskandal schwer gebeutelte VW-Konzern an, die Spitze
umzubauen - Markenchef Herbert Diess soll VW-Konzernchef Matthias
Müller ersetzen. Vor dem Schloss in Meseberg werfen mit Merkel-Masken
verkleidete Umweltaktivisten Geldsäcke in ein VW-Cabrio - als Protest
gegen eine mögliche Nachrüstung der wegen der Stickoxide mit
Fahrverboten bedrohten Dieselautos mit Steuergeldern der Bürger -
debattiert wird über einen Fonds des Staates und der Autokonzerne.

Es gibt also mehr als genug zu tun. So ist die Schlossidylle in
vielerlei Hinsicht eine trügerische, es passt ins Bild, dass während
einer Sitzung im nahegelegenen Dorf ein Sirenenalarm ertönt, es
brannte aber wohl nur eine Böschung. Auch wenn Merkel in Meseberg von
viel Sonne beschienen wird: überall gibt es Fliehkräfte, im Inland
wie im Ausland, die auch sie immer schwerer zu kontrollieren vermag.