Israels Cannabis-Branche in den Startlöchern - Doch Regierung bremst Von Philipp Luther, dpa

Medizinisches Cannabis ist auf dem Vormarsch. Die israelische Branche
wartet derzeit darauf, mit ihren Produkten auf den Weltmarkt gehen zu
können. Noch gibt es allerdings ein Hindernis.

Tel Aviv (dpa) - Am nördlichen Ende des Hafens von Tel Aviv steht
eine mondäne Veranstaltungshalle. Hier feiern junge Israelis ihre
Hochzeit mit Blick auf das tiefblaue Mittelmeer. An diesem sonnigen
Frühjahrstag künden süßlich riechende Duftwolken von anderen
Besuchern. «Letztes Jahr haben wir den Konsum auf der
CannaTech-Konferenz noch verboten», sagt Saul Kaye, Veranstalter
einer zweitägigen Konferenz für medizinisches Cannabis. Dieses Mal
hätten sie sich die Mühe gespart.

Cannabis kann man in der israelischen Amüsiermetropole Tel Aviv auch
sonst fast an jeder Ecke riechen, es gilt als fester Bestand des
Nachtlebens. Die Startup-Nation Israel gilt aber auch als Vorreiter
im Bereich des medizinischen Cannabis.

An die 800 Branchen-Vertreter trafen sich zuletzt auf der CannaTech
2018, um in die Zukunft dieses aufstrebenden Industriezweigs zu
blicken. Darunter auch der Pharmariese Tikun Olam, der 20 000
Patienten in Israel mit Cannabis-Medikamenten beliefert. 2018 will
der Konzern auf den europäischen Markt expandieren, viele weitere
Firmen wollen folgen. Auch Deutschland gilt als attraktives Ziel.

Doch die Gesetzeslage in Israel hat einen Schatten auf die Pläne der
Industrie geworfen. Trotz der Ankündigung, die Ausfuhrbestimmungen
für medizinisches Cannabis ändern zu wollen, hat Israels Regierung
die Gesetzgebung im Februar auf Eis gelegt. Nach Medienberichten hat
Ministerpräsident Benjamin Netanjahu auf die Bremse getreten, aus
Sorge den US-Präsidenten Donald Trump zu verärgern - weil dieser
gegen eine Legalisierung von Cannabis sei.

Justizministerin Ayelet Shaked reagierte mit Unverständnis: «Wir
dürfen den Zug nicht verpassen. Heute sind wir die Lokomotive, wenn
wir zögern, werden wir zu Waggons», twitterte Shaked nach dem Besuch
einer Cannabis-Plantage im Norden des Landes. Medizinische
Cannabis-Produkte im Wert von bis zu einer Milliarde US-Dollar (mehr
als 800 Millionen Euro) könne die israelische Industrie exportieren,
schrieb die Ministerin.

Branchen-Vertreter bemühen sich um Gelassenheit. «Noch in diesem Jahr
werden wir die Erlaubnis bekommen, unsere Produkte zu exportieren»,
versichert Kaye. Die Verzögerung durch die Regierung sei nur ein
kleines Hindernis auf dem Weg. Seinen Ärger kann Kaye trotzdem kaum
verbergen. «Es ist eine Schande. Die Regierung lässt sich hier eine
riesige Chance entgehen», sagt Kaye.

Zwischen 250 und 300 Millionen Dollar (200 bis 240 Millionen Euro)
setzten israelische Firmen wie Tikun Olam im vergangenen Jahr mit
medizinischem Cannabis um. Kaye sieht ein Milliardengeschäft auf die
israelische Industrie und den Staat zukommen: «Wie damals in den
Dotcom-Zeiten.» (Dotcom steht für Technologieunternehmen mit der
Internet-Domain-Abkürzung «.com») Und wenn der Export weiterhin
verboten bleibt? «Dann arbeiten wir im Ausland weiter», sagt Kaye.

Die meisten der israelischen Firmen beschäftigten sich mit Forschung
und Entwicklung von Cannabis-Medikamenten. Und deren Produkte könnten
auch im Ausland produziert werden, sagt Kaye. In Israel würden dann
weniger Arbeitsplätze entstehen und Steuereinnahmen wegfallen.

Rund 30 000 Menschen in Israel besitzen laut Gesundheitsministerium
die Erlaubnis, medizinisches Cannabis zur Linderung ihrer Leiden zu
konsumieren. Unter ihnen sind auch Holocaust-Überlebende. Das
Marihuana soll die Folgen ihrer traumatischen Erlebnisse lindern. In
Deutschland ist es seit März 2017 möglich, Cannabis auf Rezept zu
beziehen.

Die Verzögerung bei der Gesetzgebung löst aber nicht nur bei den
Pharma- und Agrarkonzernen auf der CannaTech Kopfschütteln aus. Auch
Vertreter der Kibbuz-Bewegung verzweifeln derzeit an ihrer Regierung.
Die basisdemokratischen Landwirtschaftsgenossenschaften setzen große
Hoffnungen in medizinisches Cannabis. Seit der Wirtschaftskrise in
den 1980er Jahren haben die Kibbuzim mit finanziellen Schwierigkeiten
zu kämpfen.

Etwa 110 000 Menschen leben nach Angaben der Bewegung in 273
Kibbuzim, weniger als zwei Prozent der Gesamtbevölkerung. Der erste
Kibbuz wurde 1910 am See Genezareth gegründet. Die Siedlung gilt als
Ursprung dieser basisdemokratischen Gemeinschaft.

Ihre Chance sehen die Vertreter der Bewegung im Bereich der
Landwirtschaftstechnologie. «Im Kibbuz hat sich viel Erfahrung in
fast allen Bereichen des Anbaus und der Verarbeitung von Pflanzen
angesammelt», erklärt Sharon Schulleiter, ein Experte für die
Kibbuz-Bewegung. Die Genossenschaften müssten nur entscheiden, was am
besten zu ihnen passt. Das meint auch Nira Dgani, eine Anwältin die
die Kibbuz-Bewegung berät: «Aber im Moment warten wir darauf, dass
die Regierung entscheidet, was sie will.»