Horrortrip und Wundermittel: vor 75 Jahren entdeckt ein Schweizer LSD Von Christiane Oelrich, dpa

April 1943, in Europa tobt der Krieg. In der neutralen Schweiz gerät
Pharmaforscher Albert Hofmann durch Zufall in einen Rausch, der seine
Welt aus den Fugen geraten lässt: es ist die Geburtsstunde von LSD.

Basel (dpa) - Es war Freitag, der 16. April 1943. Albert Hofmann
räumt sein Labor beim Pharmaunternehmen Sandoz in Basel etwas
frustriert fürs Wochenende auf. Seine Suche nach einem Mittel zur
Kreislaufstabilisierung kommt nicht recht voran. Und dann passiert's.
Er erlebt einen gewaltigen Rausch, den er später als wunderbares
Erlebnis bezeichnet. Der Chemiker war vor 75 Jahren etwas schlampig
im Labor gewesen und mit dem Mittel in Berührung gekommen, an dem er
forschte: Lysergsäurediethylamid, abgekürzt: LSD.

Hofmann beschrieb die Ereignisse an jenem Freitag bei einem Symposium
in Basel zu seinem 100. Geburtstag 2006 so: «Ich musste das Labor
verlassen, ich hatte das Gefühl, es passiert etwas mit Dir. Ich fuhr
mit dem Velo (Rad) nach Hause, legte mich hin und hatte ein
wunderbares Erlebnis. Was immer ich mir vorstellte, war bildhaft vor
mir, tief beglückend. Es dauerte drei, vier Stunden, und dann
verschwand es.»

Am folgenden Montag, dem 19. April, wollte er dem Geheimnis auf die
Spur kommen. Er nahm bewusst LSD ein, das er aus dem Pilz Mutterkorn
gewonnen hatte, aber eine viel zu große Dosis. Was folgte, war
entsetzlich: «Ein Horrortrip», sagte Hofmann. «Ich dachte, jetzt hast

Du eine große Erfindung gemacht und jetzt musst Du gehen.» Vertraute
Möbelstücke hätten in seiner Wahrnehmung groteske Formen angenommen
und die Nachbarin sei ihm wie «eine bösartige, heimtückische Hexe mit

einer farbigen Fratze» erschienen. Nach Stunden ließ die Wirkung
nach: «Ich hatte das Gefühl, es kommt ein neues Leben in mich hinein,
ich kann gar nicht beschreiben, wie schön es war.»

Hofmanns Arbeitgeber macht aus der Substanz bald ein Medikament, das
zum Einsatz in der Psychotherapie auf den Markt kommt. LSD habe etwa
psychisch Kranke gelöst, die vorher blockiert waren, sagte Hofmann.
Sie hätten dann behandelt werden können. Ärzte setzten LSD in der
Behandlung von Alkoholikern ein, als Stimmungsaufheller bei
Schizophrenie-Patienten oder bei schweren Traumata.

In den 60er Jahren wurde LSD von der Anti-Establishment-Szene der
Flower-Power-Bewegung entdeckt. Als Flucht vor der von manchen
empfundenen Banalität und Konformität der Gesellschaft propagierten
Aussteiger LSD-Trips. Und nicht nur Aussteiger: Der amerikanische
Psychologe-Professor Timothy Leary forderte die Freigabe
bewusstseinsverändernder Drogen, darunter LSD. Der Guru der
Hippie-Szene wurde 1963 von der renommierten Harvard-Universität
gefeuert. Die Beatles tönten 1967 «Lucy in the Sky with Diamonds»,
abgekürzt: LSD. Jimi Hendrix galt als LSD-Anhänger.

Wegen falscher Dosierung erlebten Menschen immer öfter
Horrortrips. Verbrechen wurden im LSD-Rausch verübt und Selbstmorde
begangen. Die Behörden waren entsetzt. Ende der 60er Jahre wurde die
Droge in den USA und dann weltweit verboten.

Erst Jahrzehnte später wuchs wieder das akademische Interesse an den
Möglichkeiten von LSD. Der Schweizer Psychiater Peter Gasser, der
Hofmann vor dessen Tod 2008 mehrmals traf, durfte 2007 mit einer
Ausnahmegenehmigung erforschen, wie LSD Patienten mit Krebs oder
anderen tödlichen Krankheiten helfen kann.

Hofmann schrieb ein Buch über «LSD - mein Sorgenkind». Er war t
ief
traurig über den Missbrauch, der seine Wunderdroge in Verruch
gebracht hatte. Bis zuletzt war er überzeugt, dass die Substanz bei
kontrollierter Einnahme eine positive Bewusstseinserweiterung
bedeute. «Es hat mir offene Augen und innere Empfindlichkeit für das
Wunder der Schöpfung gegeben, und dafür bin ich meinem Schicksal
dankbar», sagte er an seinem 100. Geburtstag.