Unmut bei Union über Verzögerung bei Koalitionsverhandlungen Von Nico Pointner, Andreas Hoenig und Ruppert Mayr, dpa

Die Union drückt aufs Tempo. An Karneval soll die
Koalitionsverhandlungen abgeschlossen sein. In der «fünften
Jahreszeit» will wohl niemand verhandeln. Ob das alles die Bürger
noch verstehen?

Berlin (dpa) - In der Union wächst der Unmut über die SPD wegen
Verzögerungen bei den Koalitionsverhandlungen. Da die
Sozialdemokraten noch internen Beratungsbedarf reklamierten, dürften
die offiziellen Verhandlungen nicht vor Freitag starten. In der Union
besteht die Befürchtung, dass die Gespräche nicht bis Karneval
abgeschlossen werden können. Dies könnte wiederum eine
Regierungsbildung bis Ostern in Frage stellen.

Die Unterhändler von CDU und CSU trafen sich am Dienstag, um ihren
Kurs abzustimmen. Dagegen kommt das SPD-Team dem Vernehmen nach erst
am Donnerstag zu Beratungen zusammen. Wenn dann am Freitag die
offiziellen Gespräche begännen, könnte auch am Wochenende verhandelt

werden - voraussichtlich in Arbeitsgruppen, wie es bei der Union
hieß.

Vor dem Treffen der Unions-Unterhändler sagte Sachsen-Anhalts
Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU): «Wir sehen ja auch, wie die

Stimmung im Lande ist, und wir brauchen da jetzt wirklich schnelle
Fortschritte.» Man stehe in der Verantwortung, rasch eine Regierung
zu bilden. Auch sein hessischer Kollege Volker Bouffier (CDU) mahnte
zügige Verhandlungen an.

Unterdessen sandte Unionsfraktionschef Volker Kauder (CDU)
Kompromisssignale an die SPD. «Bei der Gesundheitsversorgung will
natürlich auch die Union Verbesserungen», sagte er der Funke
Mediengruppe (Dienstag). Zwar lehne er die von der SPD geforderte
Vereinheitlichung der Ärztehonorare ab, eine pauschale Angleichung
«würde vermutlich fünf Milliarden Euro kosten». Um aber Anreize f
ür
mehr Ärzte auf dem Land zu schaffen, wären hier höhere Honorare für

die Behandlung von Kassenpatienten «ein sinnvolles Instrument».

Der SPD-Sonderparteitag hatte sich am Wochenende knapp für
Koalitionsverhandlungen ausgesprochen, aber die Parteiführung um
Martin Schulz unter anderem aufgefordert, den «Einstieg in das Ende
der Zwei-Klassen-Medizin» durch eine Angleichung der Honorarordnungen
für gesetzlich und privat Versicherte durchzusetzen. Dies stieß beim
Verband der Privaten Krankenversicherung (PKV) auf Widerstand.
Verbandsdirektor Volker Leienbach sagte dem Redaktionsnetzwerk
Deutschland (RND). «Jede Arztpraxis würde im Schnitt über 50 000 Eu
ro
pro Jahr verlieren, wenn die höheren Honorare der Privatversicherten
wegfielen». Viele Praxen müssten schließen.

Bouffier sagte zu den Forderungen der SPD: «Es kann nicht unsere
Aufgabe sein, die Sozialdemokraten zu einen. Wir respektieren, dass
sie in einer schwierigen Situation sind, aber es geht nicht nur um
die SPD.» Auf die Frage, ob er Spielräume bei der von der SPD
verlangten Überwindung der «Zwei-Klassen-Medizin» sehe, sagte er: «
Da
sehe ich eigentlich kaum Spielräume.»

Nach Ansicht von Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther
(CDU) muss ein Koalitionsvertrag nicht viel tiefer gehen als das
ausgehandelte Sondierungsergebnis. Auch er deutete
Kompromissbereitschaft in der Gesundheitspolitik an.

Kauder wandte sich indessen entschieden gegen Zugeständnisse bei der
Zuwanderung. Union und SPD hätten bereits «eine ausgewogene Lösung
»
für den Familiennachzug für Flüchtlinge inklusive Härtefälle
gefunden. Während der Sondierungen hatten sich Union und SPD darauf
geeinigt, dass monatlich 1000 Menschen im Rahmen des Familiennachzugs
für subsidiär Schutzbedürftige kommen dürfen.

Die SPD pocht auf eine weitergehende Härtefallregelung. «Das
Kontingent muss größer werden», sagte SPD-Vize Ralf Stegner der
«Rheinischen Post». Nach Schätzungen gibt es aktuell etwa 60 000
Menschen, die für diesen Familiennachzug in Frage kommen könnten. Der
innenpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Stephan Mayer (CSU),
warnte im Bayerischen Rundfunk, die SPD dürfe nicht immer mit dem
Mitgliederentscheid drohen. «Auch wir haben Mitglieder, die klare
Erwartungen an uns, an die CSU-Verhandler haben.»

Der Juso-Vorsitzende Kevin Kühnert machte indessen deutlich, dass er
nichts von Neumitgliedern halte, die nur in die SPD eintreten, um
beim Mitgliederentscheid eine große Koalition zu verhindern. «Wir
wollen Neumitglieder werben, die aus Überzeugung in die SPD
eintreten», sagte er der «Rheinischen Post» (Mittwoch).

Die Jusos riefen am Montag unter dem Motto «Tritt ein, sag' Nein»
dazu auf, in die SPD einzutreten, um beim Mitgliederentscheid den
Koalitionsvertrag ablehnen zu können. Der Juso-Chef in NRW, Frederick
Cordes, kündigte eine Kampagne nach dem Motto «einen Zehner gegen die
GroKo» an. So teuer sei der Mitgliedsbeitrag für zwei Monate. Bis
späten Dienstagnachmittag zählte die SPD um die 1600 Neuzugänge.

Über einen möglichen Koalitionsvertrag stimmen am Ende die mehr als
440 000 SPD-Mitglieder ab, sie haben damit das letzte Wort. Kühnert
warnte die Parteispitze in einem Beitrag für das «Handelsblatt»
davor, den Mitgliederentscheid zu unterschätzen.