Scholz: Votum des SPD-Parteitags wirkt weit über Deutschland hinaus

Von Italiens Regierungschef bis hin zur CDU-Spitze kommen Appelle in
Richtung SPD, der Aufnahme von Koalitionsverhandlungen mit der Union
zuzustimmen. Der SPD-Generalsekretär gibt sich zuversichtlich. Doch
absolut sicher ist sich in der Partei niemand.

Berlin/Hamburg (dpa) - Kurz vor dem Parteitag in Bonn hat SPD-Vize
Olaf Scholz eindringlich an die Delegierten appelliert, den Weg frei
zu machen für Koalitionsverhandlungen mit der Union. «Die
Entscheidung des Parteitags ist wichtig für Deutschland, wirkt aber
weit über unsere Grenzen hinaus», sagte Hamburgs Erster Bürgermeister

der Deutschen Presse-Agentur in Berlin. Nicht nur Deutschland, auch
viele europäische Länder schauten am Wochenende auf Bonn.

Am Sonntag sollen die Delegierten dort darüber abstimmen, ob das
Ergebnis der Sondierungen von Union und SPD ausreicht und die
Sozialdemokraten in Koalitionsverhandlungen mit CDU und CSU
einsteigen sollen. Die SPD ist in der Frage gespalten. Gegner und
Befürworter einer weiteren großen Koalition versuchen seit Tagen
unermüdlich, möglichst viele Delegierte von ihrer Position zu
überzeugen. Die Parteiführung um Martin Schulz wirbt für
Koalitionsverhandlungen. Den Widerstand gegen eine Neuauflage von
Schwarz-Rot führen die Jusos an.

Die SPD-Spitze bereitet am Samstag mit Gremiensitzungen den Parteitag
vor. Am Nachmittag (15.00 Uhr) kommt zunächst das SPD-Präsidium
zusammen, im Anschluss (16.00 Uhr) der Parteivorstand. Am Abend
(18.00 Uhr) will Schulz einen Rundgang in der Parteitagshalle machen.

Parteivize Scholz hatte bei den Sondierungsgesprächen mit am Tisch
gesessen. Er sagte, die Ergebnisse brächten echte Verbesserungen für
die Bürger: etwa die Rückkehr zur paritätischen Finanzierung der
Krankenkassenbeiträge, die Stabilisierung des Rentenniveaus oder die
Einführung einer Grundrente. Er wünsche sich ein klares Signal von
dem Bonner Parteitag. Auch der Chef der Industriegewerkschaft IG BCE,
Michael Vassiliadis, wies auf die Erfolge der Sozialdemokraten bei
den Sondierungen hin. Verdi-Chef Frank Bsirske warb in der «taz»
(Samstag) ebenfalls für die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen.

Die einflussreichen SPD-Landesverbände aus Hessen und
Nordrhein-Westfalen lobten einem Medienbericht zufolge ebenfalls die
Sondierungsergebnisse, die geeignet seien, «im Rahmen von
Koalitionsverhandlungen die noch offenen Fragen zu klären». Wie die
«Süddeutsche Zeitung» (Wochenendausgabe) weiter schreibt, dringen die

beiden Landesverbände aber zugleich auf «substanzielle
Verbesserungen», etwa die Abschaffung der sachgrundlosen Befristung
von Arbeitsverhältnissen. Die Zeitung berief sich auf einen ihr
vorliegenden Entwurf eines gemeinsamen Antrags, den die beiden
Landesverbände am Sonntag einzubringen planen. NRW schickt die
meisten Delegierten zu dem Parteitag, Hessen die viertmeisten. Die
Landesspitze der SPD in Rheinland-Pfalz wollte am Freitagabend keine
Abstimmungsempfehlung für ihre Delegierten abgeben.

Der Wirtschaftsrat der CDU warnte vor Erwartungen an weitere
Zugeständnisse. «Die bisher getroffenen Vereinbarungen für die GroKo

sind schon jetzt ein Belastungstest für den Wirtschaftsstandort
Deutschland und seine Arbeitsplätze», sagte der Generalsekretär des
Wirtschaftsrats, Wolfgang Steiger, der dpa. Arbeitgeberpräsident Ingo
Kramer nannte ein Scheitern einer GroKo in den Zeitungen der Funke
Mediengruppe (Samstag) «politisch eine katastrophale Vorstellung für
die größte Volkswirtschaft Europas».

Italiens Ministerpräsident Paolo Gentiloni - Mitglied der
sozialdemokratischen Regierungspartei PD - warb in einem Gastbeitrag
für die Zeitungen des Redaktionsnetzwerks Deutschland (RND, Samstag)
für die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen. Auch die
stellvertretende CDU-Vorsitzende Julia Klöckner rief die
SPD-Delegierten zu Zustimmung auf. Sie könne nur an sie appellieren,
«dass sie am Ende das große Ganze im Blick haben. Es geht um die
Regierungsfähigkeit in Deutschland und darum, dass die Ränder nicht
gestärkt werden», sagte sie der «Rheinischen Post» (Samstag).

SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil gab sich zuversichtlich. «Am Ende
wird es grünes Licht für weitere Verhandlungen geben», sagte er der
«Bild»-Zeitung (Samstag). Würde der Parteitag aber gegen den Kurs der

SPD-Spitze votieren, hätte das wohl dramatische Folgen. Schulz könnte
sich in dem Fall wohl kaum auf dem Chefposten der Partei halten. Die
SPD-Führung wäre beschädigt. Ein weiterer Absturz im Fall einer
Neuwahl würde drohen. Es ist daher nicht sehr wahrscheinlich, dass
die Delegierten dies in Kauf nehmen. Doch absolut sicher ist sich da
niemand.

Der «Kölner Stadt-Anzeiger» (Samstag) berichtete unter Berufung auf
SPD-Kreise, führende Politiker der NRW-SPD drängten Schulz, in einer
möglichen GroKo keinen Ministerposten zu übernehmen. Ein Verzicht
könne die Delegierten davon überzeugen, für die Aufnahme von
Koalitionsgesprächen zu stimmen. Schulz müsse die Befürchtung
zerstreuen, dass die dringend erforderliche Erneuerung der
Sozialdemokratie «wieder hinten runterfällt», wurde ein ungenannter
SPD-Bundestagsabgeordneter zitiert.

Einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Kantar Emnid im Auftrag
der Funke Mediengruppe zufolge waren vor dem Parteitag nur 28 Prozent
der repräsentativ befragten Deutschen der Ansicht, Schulz könne die
SPD erfolgreich sanieren. Das reicht demnach in der Rangliste zehn
führender SPD-Politiker nur zu einem Mittelfeldplatz. Fast jeder
zweite Bürger (48 Prozent) traute der Umfrage nach Schulz-Vorgänger
Sigmar Gabriel am ehesten zu, die Partei aus der Krise zu führen.