Nach Schulprojekt im Rollstuhl: Schüler zieht vor Bundessozialgericht Von Göran Gehlen, dpa

Bei einer Schulaufgabe stürzt ein Jugendlicher schwer und sitzt
seitdem im Rollstuhl. Die Versicherung der Schule will für den Unfall
nicht zahlen. Nach jahrelangem Rechtsstreit geht es für die Familie
vor dem Bundessozialgericht nun um alles.

Steinheim/Kassel (dpa) - Es war der Bruchteil einer Sekunde, der das
Leben von Jochen Knoop komplett veränderte: Nach einem Videodreh für
eine Schulaufgabe wurde der damals 16-Jährige aus Steinheim an der
Murr in Baden-Württemberg von einem Mitschüler angerempelt. Er
stürzte mit dem Kopf auf den Bordstein. Ärzte retteten sein Leben.
Seitdem sitzt der heute 20-Jährige im Rollstuhl. Doch die
Unfallversicherung der Schule will nicht zahlen. Nach fünf Jahren
Rechtsstreit hofft Familie Knoop nun auf ein höchstrichterliches
Urteil (Az.: B2 U 8/16 R).

Am 23. Januar befasst sich das Bundessozialgericht in Kassel mit der
Frage, ob der Videodreh außerhalb der Schule ein Schulprojekt oder
eine Hausaufgabe war. Bei letzterem wäre der Vorfall außerhalb der
Verantwortung der Schule gewesen. Deshalb lehnt die Unfallkasse
Baden-Württemberg bisher eine Anerkennung ab. Jochen Knoops Anwalt,
Michael Umbach aus Ludwigsburg, widerspricht: Es habe sich um eine
schulische Veranstaltung gehandelt, die auf dem Lehrplan stand.

Der Anwalt hält ein Urteil für über den Fall hinaus bedeutend:
«Schulische Projektarbeit wird es mehr und mehr geben», sagt er. Denn
die Intention sei, dass Schüler eigenverantwortlich arbeiteten. «Man
kann nicht Projektarbeit immer weiter ausweiten und das
Gefährdungspotenzial für Schüler erhöhen und dann sagen, dass man
sich der Verantwortung entzieht.» Es gebe durchaus Urteile in
vergleichbaren Fällen aus anderen Bundesländern, in denen zugunsten
des Versicherten Recht gesprochen wurde. In Baden-Württemberg habe
sich die Rechtsprechung nun auch im Sinne der Versicherten geändert.
2016 gab das Landessozialgericht Knoop Recht. «Das Wunder von
Stuttgart» nennt Umbach das Urteil.

Doch die Unfallkasse legte Revision ein. Laut dem Bundessozialgericht
argumentiert sie, dass die Schule keine Möglichkeit der Einflussnahme
auf den Dreh hatte. Daher liege er in der Verantwortung der Eltern
des Opfers. Aufgrund des laufenden Verfahrens wollte sich die
Unfallkasse gegenüber der Deutschen Presse-Agentur nicht äußern.

Jochen Knoop ist wütend auf die Versicherung: «Ich kann es nicht
verstehen, Lehrer und Rektor haben selbst gesagt, es handelt sich um
eine schulische Veranstaltung.» Sein Leben habe sich durch den Unfall
drastisch geändert: «Ich lag im Koma, meine Schädeldecke musste
entfernt werden. Ich sitze nun überwiegend im Rollstuhl, besuche eine
Schule für Körperbehinderte, brauche mehrmals die Woche Ergo- und
Physiotherapie sowie Hilfe im Alltag», sagt er.

Die Belastung trage die Familie: Vater, Mutter und Bruder. Das sei
enorm, sagt Mutter Elke: «Wir fahren Jochen umher, machen alle Wege
für ihn.» Laut Anwalt Umbach sind bisher allein der Familie Kosten
«in einem guten fünfstelligen Bereich» entstanden. Es gehe aber um
mehr: «Es müsste nicht nur medizinische Rehabilitation bezahlt
werden, sondern auch zum Beispiel Leistungen zur Teilhabe am
Arbeitsleben, Leistungen zum Leben in der Gemeinschaft. Das trägt
bisher die Familie in weiten Teilen allein, dafür wäre ihr
Unterstützung zu zahlen.» Auch eine Unfallrente sei nötig.

Vom Schüler, der geschubst hatte, ist laut Umbach wenig zu erwarten:
«In diesem Fall bringt der Anspruch gegen die Verursacher für die
finanzielle Absicherung nichts», sagt er. Der Schüler habe eine
Versicherung, die sich aber gegen die Inanspruchnahme wehre. Da der
Anspruch gegen die Unfallkasse gerichtlich geklärt werde, sei der
Prozess gegen die Haftpflichtversicherung aus gesetzlichen Gründen
ausgesetzt und diese müsse in dieser Zeit nicht zahlen.

Jochen Knoop will in den nächsten drei Jahren sein Abitur machen.
Weitere Operationen sind nötig. Ob sie dem 20-Jährigen helfen, ist
nicht sicher. Die Familie hofft, dass zumindest im Streit mit der
Unfallkasse bald ein Schlusspunkt gesetzt wird. «Für uns geht es
wirklich um alles», sagt Jochen Knoop.