Gröhe und Patientenschützer: Behörde darf niemals Sterbehilfe leisten Von Ruppert Mayr, dpa

Wie weit geht das Recht Sterbenskranker, Hilfe vom Staat beim Suizid
zu bekommen? Ein Gutachten entfacht die emotionale Debatte um
Sterbehilfe erneut.

Berlin (dpa) - Das Bundesverfassungsgericht muss nach Ansicht der
Deutschen Stiftung Patientenschutz dringend Klarheit schaffen, ob
Behörden tatsächlich Sterbehilfe leisten und Sterbewilligen den
Zugang zu tödlichen Mitteln ermöglichen müssen. Stiftungsvorstand
Eugen Brysch forderte die Bundesregierung auf, eine Entscheidung
darüber in Karlsruhe zu suchen. Er sagte der dpa: «Es kann nicht
sein, dass Verwaltungsbeamte über die Vergabe von Tötungsmitteln an
Suizidwillige entscheiden.»

Gesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) argumentiert zwar auch: «Eine
staatliche Behörde darf niemals Helfershelfer einer Selbsttötung
werden.» Doch er forderte in der «Frankfurter Allgemeinen Zeitung»
(Dienstag) den Bundestag auf, mit einem neuen Gesetz Klarheit bei der
Hilfe zur Selbsttötung zu schaffen. Er erinnerte daran, dass der
Bundestag im Herbst 2015 die organisierte Sterbehilfe mit großer
Mehrheit verboten und zugleich die Versorgung Sterbenskranker
(Palliativversorgung) verbessert habe.

Hintergrund der Vorstöße von Gröhe und Brysch sind jetzt bekannt
gewordene verfassungsrechtliche Vorbehalte gegenüber eines Urteils
des Bundesverwaltungsgerichts in Leipzig vom März 2017. Danach haben
Schwerstkranke «in Extremfällen» ein Recht, dass das Bundesinstitut
für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) ihnen erlaubt, eine
tödliche Dosis des Schlafmittels Natrium-Pentobarbital zu beziehen.
Nach FAZ-Informationen sind inzwischen 83 solcher Anträge
eingegangen.

Das Institut vertritt jedoch die Auffassung, dass dies nicht zu
seinen Kompetenzen gehöre. Es beauftragte den Verfassungsrechtler Udo
di Fabio, die verfassungsrechtlichen Auswirkungen des Urteils zu
klären und zu prüfen, inwieweit das Bundesinstitut verpflichtet
werden kann, einem Sterbewilligen die tödlichen Mittel zu verschaffen
oder ihm den Zugang zu ermöglichen.

Di Fabio hat nach dem vom BfArM am Montag veröffentlichten Gutachten
verfassungsrechtliche Vorbehalte gegen das Urteil der Leipziger
Richter. Diese stellten in ihrem Urteil vor allem auf das
Persönlichkeitsrecht ab. Selbstbestimmung führe aber nicht zu einer
Pflicht des Staates, sich an einer höchstpersönlichen Entscheidung zu
beteiligen, hält di Fabio dem entgegen.

Der Gesetzgeber sei auch berechtigt, die Mittel zu verweigern, wenn
er in einer Hilfe zur Selbsttötung die Gefahr sehe, künftig
routinemäßig tödlich wirkende Substanzen ausgeben zu müssen, sobald

ein Sterbewilliger danach frage.

Im November 2015 entschied der Bundestag, dass «geschäftsmäßige»
und
auf Wiederholung angelegte Sterbehilfe in Deutschland verboten wird.
Vereine oder Einzelpersonen dürfen demnach künftig keine Beihilfe zum
Suizid als Dienstleistung anbieten. Mit einem neuen Straftatbestand
drohen künftig bis zu drei Jahre Haft, wenn etwa einem unheilbar
Krebskranken geschäftsmäßig ein tödliches Medikament gewährt wird
.

Schon damals wurden Zweifel laut, ab der Begriff «geschäftsmäßig»

juristisch eindeutig ist. Kritiker hatten vor einer Kriminalisierung
von Ärzten, die etwa in der Sterbebegleitung tätig sind, und einer
Einschränkung des Selbstbestimmungsrechts der Betroffenen gewarnt.
Der inzwischen gestorbene Bundestagsvizepräsident Peter Hintze (CDU)
trat für die Möglichkeit des ärztlich begleiteten Suizids ein, konnte

sich aber damit nicht durchsetzen.

Suizidversuche und Beihilfe zum Suizid sind nicht strafbar. Das
heißt, wenn es nur beim Versuch der Selbsttötung bleibt, hat dies
kein juristisches Nachspiel. Und es ist auch erlaubt, ein Mittel zur
Selbsttötung bereitzustellen, das der Betroffene selbst einnimmt.