Bürgerversicherung & Co - welche Nachbesserungen die SPD fordert Von Andreas Hoenig, dpa

Während der Sondierungen mit der Union galt noch Stillschweigen.
Danach aber gibt es eine Flut von Interviews. Führende SPD-Politiker
wollen noch Änderungen an den Ergebnissen.

Berlin (dpa) - Die SPD ist eine Partei, die gerne diskutiert. Am
Montagmorgen aber hat Andrea Nahles genug. «Da wird ein Ergebnis
schlecht geredet von einigen, die egal, was wir verhandelt hätten,
gegen die GroKo sind», sagte die SPD-Fraktionschefin im
Deutschlandfunk. Denn kaum war das Sondierungspapier mit der Union am
Freitag beschlossen, verlangten viele SPD-Politiker Nachbesserungen.
Ein Überblick:

BÜRGERVERSICHERUNG: Die Einführung einer Bürgerversicherung für all
e
im Gesundheitssystem wäre eine große «Trophäe» für die
Sozialdemokraten - oder wie der Chef der NRW-SPD, Michael Groschek,
meinte: ein «Siegerpokal» wie der Mindestlohn bei den
Koalitionsverhandlungen 2013. Die Union aber lehnt eine
Bürgerversicherung, die das derzeitige System privater und
gesetzlicher Krankenversicherungen ersetzen soll, strikt ab. Dennoch:
die Bürgerversicherung steht in der SPD bei den Forderungen nach
Nachbesserungen ganz weit oben. Es scheint allerdings höchst
unwahrscheinlich, dass die Union ihre Meinung ändert. Auf der
Haben-Seite kann die SPD verbuchen, dass die Beiträge zur
gesetzlichen Krankenversicherung künftig wieder zu gleichen Teilen
von Arbeitgebern und -nehmern bezahlt werden sollen.

ARBEITSMARKT: Eine weitere Herzensangelegenheit der SPD ist es, die
Zahl der befristeten Jobs einzudämmen. Arbeitsverhältnisse sollen
nicht länger ohne triftige Gründe befristet werden - in der
Fachsprache heißt das: Verbot der «sachgrundlosen Befristung». Dazu
aber findet sich im Sondierungspapier kein Wort. «Natürlich bleiben
wir dabei, dass wir die sachgrundlose Befristung beenden wollen, da
wird sich die Union bewegen müssen», sagte SPD-Bundesvize Natascha
Kohnen der «Passauer Neuen Presse». «Es kann nicht sein, dass junge
Menschen von einem befristeten Job in den nächsten stolpern.» Es
scheint aber nicht sehr wahrscheinlich, dass es noch einmal zu
Bewegung kommt - vor allem die Wirtschaft pocht darauf, sie brauche
weiter Flexibilität im Arbeitsmarkt. Dagegen setzte die SPD in den
Sondierungen durch, dass das gesetzliche Rückkehrrecht von Teilzeit-
auf Vollzeitjobs kommen soll, wenn auch in etwas abgeschwächter Form.

STEUERN: Eine Erhöhung des Spitzensteuersatzes zählt ebenfalls zu
einer Kernforderung der SPD - auch dies wäre eine «Trophäe» für d
ie
Basis. Das aber lehnt die Union strikt ab. Die SPD will auch darüber
in möglichen Koalitionsverhandlungen noch einmal sprechen - es
scheint aber äußerst fraglich, dass die Union ihren Widerstand
aufgibt.

WOHNEN: «Beim Thema bezahlbares Wohnen müssen wir nachlegen», fordert

Bayerns SPD-Chefin Kohnen. In die gleiche Kerbe schlug Berlins
Regierender Bürgermeister Michael Müller. Er kritisierte im ZDF, die
großen Sozialthemen fehlten bisher «praktisch noch komplett» - und
nannte neben der Bürgerversicherung den sozialen Wohnungsbau. Die SPD
fordert auch massive Änderungen bei der Mietpreisbremse, die aus
ihrer Sicht wirkungslos ist. Im Sondierungspapier heißt es, die
Mietpreisbremse solle auf ihre «Wirksamkeit» überprüft werden. Das

Thema Wohnungen könnte in den Koalitionsverhandlungen noch breiten
Raum einnehmen.

ZUWANDERUNG UND INTEGRATION: Der Zuzug von Flüchtlingen soll auf
180 000 bis 220 000 pro Jahr begrenzt werden, der Familiennachzug auf
1000 Menschen im Monat, so steht es im Sondierungspapier. Damit
setzte sich vor allem die CSU durch. Aus der SPD aber kommt nun
Protest gegen die Darstellung, es sei eine «Obergrenze» vereinbart
worden. Und die Begrenzung beim Familiennachzug für Flüchtlinge mit
eingeschränktem Schutzstatus ist für viele in der SPD schmerzhaft,
wie etwa Bundesvize Ralf Stegner der «Welt am Sonntag» sagte. Er
forderte, die SPD sollte sich im Falle von Koalitionsverhandlungen
für eine Härtefallregelung stark machen, es gehe etwa um Kinder aus
Kriegsgebieten. Alledings scheint es mehr als fraglich, ob vor allem
die CSU noch einmal mit sich reden lässt.

EUROPA: Union und SPD wollen einen «neuen Aufbruch» für die EU und

streben eine Erneuerung an, das Thema steht im Sondierungspapier ganz
vorne. In enger Partnerschaft mit Frankreich soll die Eurozone
gestärkt und reformiert werden. Allzu konkret aber wird es im Papier
nicht. Reformvorschläge etwa des französischen Präsidenten Emmanuel
Macron und der EU-Kommission sollen geprüft werden. Der Vorstoß von
SPD-Chef Martin Schulz, bis 2025 «Vereinigte Staaten von Europa» zu
schaffen oder Pläne der EU-Kommission für einen EU-Finanzminister
kommen im Papier nicht vor. Der rheinland-pfälzische
SPD-Fraktionsvorsitzende Alexander Schweitzer forderte in der «Welt
am Sonntag», es seien konkrete Maßnahmen notwendig. «Das Aussitzen im

Kanzleramt muss beendet werden». In Koalitionsverhandlungen dürfte
das Thema Europa breiten Raum einnehmen.