Niedersachsen lässt Medizinversuche an Heimkindern untersuchen

Hannover (dpa) - Das Land Niedersachsen lässt Medizinversuche an
Heimkindern in den Nachkriegsjahrzehnten, die der Pharmaindustrie
gedient haben sollen, wissenschaftlich untersuchen. Ergebnisse sollen
im Sommer vorliegen, teilte das Sozialministerium in Hannover am
Montag mit. Untersucht werden soll insbesondere, ob und wie durch
solche Versuche gegen ethische und rechtliche Vorgaben verstoßen
wurde und in welchem Umfang die betroffenen Kinder darunter gelitten
haben und Schäden davon trugen.

Auf umfangreiche Medizinversuche an Heimkindern in Westdeutschland
deutet die 2016 veröffentlichte Dissertation der Krefelder
Pharmakologin Sylvia Wagner hin. Mindestens 286 Kinder waren der
Pharmakologin zufolge in der Kinder- und Jugendpsychiatrie in
Wunstorf von Versuchen mit Schlafmitteln und Psychopharmaka
betroffen.

Nach NDR-Recherchen sollen Ärzte dort in den 70er Jahren nicht nur
Arzneimittel getestet, sondern auch fragwürdige Untersuchungsmethoden
angewendet haben. So soll die damals bereits als Standarduntersuchung
in der Psychiatrie nicht mehr übliche Rückenpunktion vorgenommen
worden sein, bei der mit einer Spritze Gehirnflüssigkeit aus dem
Wirbelkanal abgesaugt wird.

Für die Betroffenen waren diese mit tagelangen Kopfschmerzen und
Erbrechen verbunden, wie Betroffene NDR1 Niedersachsen und dem
TV-Magazin «Hallo Niedersachsen» berichteten.

Das Sozialministerium lasse die möglichen Missstände untersuchen,
weil es seinerzeit Träger der Kinder- und Jugendpsychiatrie war, die
inzwischen zum Klinikum Region Hannover gehört, sagte ein Sprecher.

Geklärt werden solle auch, inwieweit solche Medizinversuche damals
durch das niedersächsische Sozialministerium gedeckt wurden.

Auch in Nordrhein-Westfalen werden Medikamententests an Heimkindern
mit oft verheerenden Folgen für die wehrlosen Opfer derzeit im
Auftrag des kommunalen Landschaftsverbands Rheinland (LVR)
aufgearbeitet.