DOSB-Chefin Rücker: «Medaillenziel nicht über alles andere setzen» Interview: Andreas Schirmer, dpa

Seit 1. Januar ist Veronika Rücker Vorstandsvorsitzende des Deutschen
Olympischen Sportbundes. Sie hat die Nachfolge von Michael Vesper als
Vorstandsvorsitzende angetreten. Einmal Gastgeber von Olympischen
Spielen zu sein, würde ihr gefallen: «Gäbe es etwas Schöneres?»

Frankfurt/Main (dpa) - Veronika Rücker ist seit 1. Januar neue
Vorstandsvorsitzende des Deutschen Olympischen Sportbundes - und sie
hat viel vor. «Wir werden keinerlei Anstrengungen unternehmen, um das
Medaillenziel über alles andere zu setzen», sagte die 47-Jährige im
Interview mit der Deutschen Presse-Agentur mit Blick auf die
Olympischen Winterspiele 2018 und die Reform des Leistungssports.

Frage: Sie sind erst ein paar Tage im Amt: Ist der Respekt vor der
Aufgabe beim DOSB gewachsen?

Antwort: Gewachsen? Nein, die Herausforderungen, die mit dem Amt
verbunden sind, waren mir vor der Entscheidung sehr wohl bewusst.

Frage: Sie sind die erste Frau im höchsten Hauptamt des deutschen
Sports. Ist das etwas Besonderes?

Antwort: Für mich ist die Rolle etwas Besonderes, unabhängig davon,
ob ich eine Frau bin oder nicht. Für jeden, der diese Aufgabe
übernehmen darf, ist das etwas Besonderes, an dieser zentralen Stelle
den Sport aktiv mitgestalten zu dürfen. Es geht doch darum, ob man
die Strukturen kennt und den Sport mit seinen vielfältigen Aspekten
durchdringen kann. Da ist nicht entscheidend, ob man eine Frau ist,
sondern ob man die dafür notwendigen Kompetenzen hat.

Frage: Sie wollen neue Akzente für Sportdeutschland setzen. Haben Sie
Schwerpunktthemen?

Antwort: Die Umsetzung des Leitbildes des DOSB ist ein Schwerpunkt.
Damit haben wir Haltung und Positionierung des DOSB und seiner
Mitgliedsorganisationen geklärt. Es gilt nun, auf dieser Basis das
Programm für die nächsten zehn Jahre festzulegen. Bis zur nächsten
Mitgliederversammlung wollen wir gemeinsam diskutieren und festlegen,
wie wir uns den DOSB in zehn Jahren vorstellen. Im Rahmen dieses
Strategieprogramms werden wir viele Fragen zu beantworten haben und
unter anderen diskutieren, wie wir mit Großveranstaltungen umgehen
und im Bereich Internationales vorgehen wollen.

Frage: Gehört dazu auch das Thema einer deutschen Olympia-Bewerbung?

Antwort: Gäbe es etwas Schöneres, als einmal Gastgeber von
Olympischen Spielen im eigenen Land zu sein?

Frage: Wann?

Antwort: Ich bin überzeugt, dass das möglich sein wird, aber dafür
ist viel Vorbereitung notwendig. Wir müssen einen Nährboden legen, um
Akzeptanz für so ein großes Projekt zu schaffen. Ich kann mir nicht
vorstellen, dass sich Deutschland dem Wunsch nach Olympischen Spielen
auf Dauer verschließen wird.

Frage: Bei den Olympischen Winterspielen in Pyeongchang werden Sie
mit DOSB-Präsident Alfons Hörmann die Delegationsleitung übernehmen.

Sind Olympische Spiele Neuland für Sie?

Antwort: Ich war mehrfach bei Olympischen Spielen, und es war immer
ein besonderes Erlebnis. Ich habe sie aus der Zuschauer- und
Fanperspektive erlebt und in meiner Zeit bei der Führungsakademie als
Netzwerkerin genutzt. Ich habe eine Vorstellung, was auf mich zukommt
und bin absolut gespannt auf die drei Wochen. Ich freue mich darauf.

Frage: Ist das auch eine Gelegenheit zu lernen?

Antwort: Natürlich. Wer kann schon aus dem Stegreif bei Olympischen
Spielen die Delegationsleitung übernehmen?

Frage: Chef de Mission war bei Olympia zuletzt stets der
DOSB-Vorstandschef. Jetzt wird es Dirk Schimmelpfennig sein. Werden
Sie 2020 in Tokio die Rolle übernehmen?

Antwort: Aus sachlicher Logik spricht vieles dafür, dass der
Vorstand Leistungssport des DOSB die Rolle des Chef de Mission
einnimmt. Aber die Entscheidung darüber wird natürlich jeweils vom
Präsidium getroffen.

Frage: Medaillen sind die Währung, die zählt - sie sind aber nicht
alles, betonen Sie. Ist der Zusatz im Zuge der Leistungssportreform,
die auf Medaillen-Maximierung zielt, relevant?

Antwort: Medaillen ja, aber nicht um jeden Preis. Dabei bleibt es!
Wir werden keinerlei Anstrengungen unternehmen, um das Medaillenziel
über alles andere zu setzen. Da stehen die Werte und der olympische
Gedanke vor der Währung der Medaillen.

Frage: Was erwarten Sie von der deutschen Olympia-Mannschaft in
Südkorea? 19 Medaillen waren es in Sotschi, 30 hätten es sein sollen.
Gibt es nun einen enormen Erfolgsdruck?

Antwort: Das Schöne am Sport ist doch, dass der Ausgang eines
Wettbewerbs nicht vorhersehbar ist, sonst wäre es auch langweilig.
Unsere Athleten sind keine Maschinen, der Erfolg ist nur bedingt
planbar. Wir tun alles dafür, optimale Rahmenbedingungen für unsere
Athleten zu schaffen, aber bei den Winterspielen 2014 in Sotschi hat
man es ja gesehen: Es waren dann überraschend auch die Sportarten, in
der wir unsere deutsche Kernkompetenz haben - wie Bobfahren -, in
denen es nicht gut gelaufen ist. Wenn man die vorolympischen
Ergebnisse in diesem Winter sieht, sind die Ausgangsbedingungen für
Pyeongchang sehr gut. Deshalb reisen wir zuversichtlich nach
Südkorea.

Frage: Nordkorea hat überraschend angekündigt, Athleten zu den
Winterspielen zu schicken. Können die deutschen Olympioniken nun
entspannt und ohne Angst nach Südkorea reisen?

Antwort: Die Sicherheit unserer Athleten steht an oberster Stelle.
Wir werden weiterhin intensiv verfolgen, was in Korea passiert und
uns fortlaufend von den Experten beraten lassen. Man kann nicht davon
ausgehen, dass jetzt mit einem Mal eine komplette Entspannung da ist.
Es zeigt sich aber, dass ein schon lange verfahrener Prozess
zumindest durch die Olympischen Spiele wieder in Bewegung gerät. Dass
ist ein Teilerfolg, und er konnte durch die Spiele bewirkt werden.
Wir würden es sehr begrüßen, wenn eine nordkoreanische Mannschaft an

den Spielen teilnimmt. Das wäre ein wichtiges Signal für erfolgreiche
Olympische und Paralympische Spiele.

Frage: Ist das Urteil des Internationalen Olympischen Komitees nach
dem russischen Doping-Skandal um die Winterspiele von Sotschi 2014
ein gutes?

Antwort: Es war für das IOC unmöglich, ein Urteil zu fällen, das alle

für gut befinden. Die jetzt getroffenen Entscheidungen stellen aus
unserer Sicht einen gut akzeptablen Kompromiss dar. Damit ist es ein
wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Entscheidend wird aber
sein, dass man die Sanktionen nun auch konsequent einhält und vor
allem, dass endlich ein Umdenken in Russland erfolgt.

Frage: Rund 200 Russen könnten nach individueller Prüfung antreten.
Außerdem: Vor der Schlussfeier in Pyeongchang kann die Suspendierung
des russischen NOK aufgehoben werden und die Athleten wieder unter
ihrer Fahne einmarschieren. Verwässert das die Strafe nicht?

Antwort: Jede Entscheidung wäre kritisiert worden. Das IOC hat einen
guten Weg gefunden, deutlich zu machen, dass hier eine Grenze
überschritten ist. Zugleich hat es die Hand gereicht und gesagt, dass
es auch ein Zurück in die Olympische Familie geben kann. Man kann
jede einzelne Sanktion überdenken, aber im Gesamtpaket war es ein
ganz deutliches Signal.

ZUR PERSON: Die Sportwissenschaftlerin Veronika Rücker (47) ist seit
1. Januar Vorstandsvorsitzende des DOSB. Zuvor war sie zehn Jahre an
der Führungsakademie des DOSB und seit 2015 Direktorin dieser
Institution. Aktiv spielte sie Tennis bis auf Regionalliga-Niveau.