SPD-Spitze wirbt um GroKo-Zustimmung - Gabriel kritisiert Verfahren

Ob es wirklich zu einer Neuauflage der großen Koalition kommt, hängt
vor allem an der SPD. Schafft es die Parteispitze, die zahlreichen
Skeptiker von Schwarz-Rot zu überzeugen? Außenminister Gabriel
gefällt das parteiinterne Verfahren nicht.

Berlin/Wernigerode (dpa) - Auf dem Weg zu einer neuen großen
Koalition wirbt die SPD-Führung eindringlich um Zustimmung der Basis
auf dem richtungsweisenden Parteitag in einer Woche. Auch die
Vize-Vorsitzenden Malu Dreyer und Manuela Schwesig - beide lange
skeptisch über ein solches Bündnis - setzen sich nach der Einigung in
den Sondierungen mit CDU und CSU dafür ein. Die rheinland-pfälzische
Ministerpräsidentin Dreyer sagte der Deutschen Presse-Agentur,
manchmal könnten auch «Zweckgemeinschaften ganz gute Arbeit leisten».

Ihre Amtskollegin aus Mecklenburg-Vorpommern, Schwesig, sagte im NDR,
die Bürger erwarteten, dass endlich eine Regierung zustande komme.

In den europäischen Nachbarländern werteten die Medien den
Sondierungsabschluss von Union und SPD nach einer 26-stündigen
Marathon-Sitzung überwiegend als gutes Zeichen. Die italienische
Tageszeitung «Corriere della Sera» erkannte am Samstag in dem
Gesprächsdurchbruch «eine gute Nachricht für die europäische Idee
».
Die liberale spanische Zeitung «La Vanguardia» sah in der Einigung
«eine große Nachricht für Deutschland und für ganz Europa». Die
deutsche Lokomotive müsse das europäische Gemeinschaftsprojekt
weiterhin vorwärts ziehen - «noch mehr nach dem Brexit».

Die Sondierungsdelegationen unter Führung der Parteichefs Angela
Merkel (CDU), Horst Seehofer (CSU) und Martin Schulz (SPD) hatten
sich am Freitagmorgen auf ein 28-seitiges Papier geeinigt. Als
nächste Etappe stehen förmliche Koalitionsverhandlungen an - sofern
der SPD-Parteitag grünes Licht gibt. Über einen ausgehandelten
Koalitionsvertrag will die SPD dann noch ihre Mitglieder abstimmen
lassen. Ein Ja gilt angesichts vieler Kritiker keineswegs als sicher.
«Wir warten auf die SPD und sind gespannt, ob sie sich am Ende
verantwortungsvoll verhält», sagte CSU-Generalsekretär Andreas
Scheuer der «Passauer Neuen Presse».

Der langjährige SPD-Chef Sigmar Gabriel kritisierte das parteiinterne
Verfahren. Die Zwischenschaltung eines Parteitags vor der
Mitgliederbefragung sei nicht nur ein Misstrauensbeweis gegenüber dem
Parteivorstand. «Das ist auch ein Misstrauen gegenüber der eigenen
Basis», sagte der Außenminister am Samstag auf einem Parteitag der
SPD Sachsen-Anhalts in Wernigerode. «Wenn wir die Basis immer
hochhalten, dann muss ich sie auch entscheiden lassen.»

Vor allem die SPD-Nachwuchsorganisation macht sich gegen eine GroKo
stark. Sachsen-Anhalts Jusos stellten am Samstag auf dem
Landesparteitag einen Antrag gegen ein solches Bündnis. Für die
bayerische Juso-Chefin Stefanie Krammer kommt das Sondierungsergebnis
«einer Bankrotterklärung gleich».

Eine Mehrheit der Bundesbürger glaubt einer Umfrage zufolge denn auch
nicht daran, dass Schulz seine Parteibasis von einer neuen große
Koalition überzeugen kann. 45 Prozent der Befragten (40 Prozent der
SPD-Anhänger) sagten in einer Erhebung des Instituts Civey für die
Funke-Mediengruppe (Sonntag) «nein» oder «eher nein». Rund 38 Proze
nt
waren gegenteiliger Ansicht. 17 Prozent waren unentschieden.

Anders als lange von der SPD gefordert soll es in einer neuen
Koalition keine Steuererhöhungen geben, aber eine Entlastung kleiner
und mittlerer Einkommen. Die geplante Rückkehr zu von Arbeitgebern
und Arbeitnehmern gleichermaßen geteilten Krankenkassenbeiträgen, ein
höheres Kindergeld und eine Grundrente für langjährige
Geringverdiener sollen Verbesserungen für Millionen Bürger bringen.
Auch geplante Milliardenausgaben für Kitas, Schulen, den Wohnungsbau
und Kommunen verbuchten SPD-Vertreter als Erfolge.

Aus Sicht der Wirtschaft gefährdet das Sondierungsergebnis die
Wettbewerbsfähigkeit deutscher Unternehmen. Wichtige Wettbewerber wie
die USA, China, Großbritannien und Frankreich senkten die
Firmensteuern, sagte der Präsident des Deutschen Industrie- und
Handelskammertags, Eric Schweitzer, der «Rheinischen Post». «Da
reicht es nicht aus, wenn deutschen Unternehmen keine Erhöhungen
drohen - zumal die Wirtschaft an anderer Stelle zusätzlich mit
Lohnzusatzkosten, Bürokratie und Regulierung belastet werden soll.»

In regierungsnahen türkischen Medien stieß die in dem
Sondierungspapier vereinbarte Haltung zur Türkei auf harsche Kritik.
Die Zeitung «Aksam» überschrieb einen Online-Artikel mit «Die
Türkeifeindlichkeit der Nazi-Koalition». Der Aufmacher der gedruckten
Ausgabe am Samstag hatte die Schlagzeile «Dummkopf-Koalition» - das
Wort «Dummkopf» war auf Deutsch und in Schwarz-Rot-Gold gehalten.
Union und SPD hatten den harten Kurs gegenüber der Türkei bestätigt.