Unmenschlich, schockierend, bedrückend: Kritik an GroKo-Sondierungen

Gut 24 Stunden haben die Sondierungsteams von Union und SPD nonstop
getagt, am Ende steht ein 28 Seiten starkes Papier mit Ergebnissen.
Wie werden die Pläne kommentiert?

Berlin (dpa) - Die Ergebnisse der Sondierungen von SPD und Union über
eine Regierungsbildung stoßen auf viel Kritik, finden teilweise aber
auch Lob. Grüne und Menschenrechtsorganisationen rügten am Freitag
vor allem einen schärferen Kurs in der Flüchtlingspolitik,
Umweltverbände einen mangelnden Ehrgeiz beim Klima- und Naturschutz.
Die Linke kritisierte, die soziale Spaltung im Land werde nicht
gekittet. Ausgewählte Reaktionen:

- Der Naturschutzverband WWF erklärte, die verabredeten Schritte
leisteten keinen Beitrag zum Kampf gegen die Klimakrise oder das
Artensterben in Deutschland. Auch fehlten konkrete Maßnahmen zum
Erreichen der deutschen Klimaschutzziele. Die Deutsche Umwelthilfe
(DUH) resümierte, unter einer erneuten großen Koalition drohten nun
weitere vier Jahre Stillstand beim Natur- und Umweltschutz. Geradezu
«schockierend» sei, dass das von beiden Vorgängerregierungen gesetzte

Klimaziel einer 40-prozentigen Treibhausgasreduktion bis 2020
faktisch aufgegeben werde.

- Pro Asyl rügte die Beschlüsse, den Zuzug von Flüchtlingen auf
180 000 bis 220 000 pro Jahr und den Familiennachzug auf 1000
Menschen im Monat zu begrenzen. Dies sei «menschlich bedrückend und
menschenrechtsschädigend» sowie «ein Sieg der Hardliner über
Humanität und Menschenrechte», erklärte der Verband. Die
Linken-Politikerin Ulla Jelpke sagte: «Die Menschenrechte von
Zehntausenden Betroffenen werden damit fortwährend missachtet.» Die
Grünen-Politikerin Claudia Roth kam zu dem Schluss: «Diese Beschlüsse

sind unmenschlich und treten das Grundrecht auf Familie mit Füßen.»
Die AfD nannte die Obergrenze von 220 000 dagegen eine «Farce». Ohne
eine Sicherung der Grenzen sei eine entsprechende Steuerung gar nicht
möglich, erklärte die Chefin der Bundestagsfraktion, Alice Weidel.

- EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker lobte die Pläne für die

Europapolitik. «Das ist ein sehr erheblicher, positiver,
konstruktiver, zukunftsorientierter, zielführender Beitrag zur
europapolitischen Debatte.» Frankreichs Regierungssprecher Benjamin
Griveaux sagte: «Diese Einigung ist gut für Deutschland, gut für
Frankreich und vor allem gut für Europa.» In dem Papier steht, dass
Union und SPD den Zusammenhalt Europas «auf allen Ebenen vertiefen
und das Prinzip der wechselseitigen Solidarität stärken» will. Die EU

solle bürgernäher und transparenter werden und dadurch neues
Vertrauen gewinnen. Auch solle mehr Geld aus Deutschland nach Brüssel
fließen.

- Die Entwicklungsorganisation ONE findet, dass zu wenig Geld für die
Zusammenarbeit mit den armen Ländern des Südens bereitstehen soll.
Zwar hätten sich Union und SPD erneut zu dem Ziel bekannt, 0,7
Prozent der Wirtschaftsleistung dafür aufzuwenden. Doch werde die
geplante Erhöhung für Verteidigung und Entwicklung um zwei Milliarden
Euro innerhalb der kommenden vier Jahre dafür bei Weitem nicht
reichen.

- Die Linke warf Union und SPD vor, die «krasse soziale
Ungerechtigkeit» zu stabilisieren. «Es soll also alles so
weitergehen: Niedriglöhne, unsichere Jobs, Altersarmut. Und auf der
Gegenseite: sprudelnde Dividenden und wachsende Millionärsvermögen.»

Noch nicht einmal eine Anhebung des Spitzensteuersatzes habe die SPD
durchsetzen können, ebenso wenig eine Vermögenssteuer für
Superreiche.

- Die deutsche Wirtschaft kritisierte die finanzpolitischen Pläne von
Union und SPD. «Wir vermissen Ansätze für eine wettbewerbsfähige
Steuerreform», sagte der Präsident des Deutschen Industrie- und
Handelskammertags (DIHK), Eric Schweitzer. «Der Verzicht auf eine
Erhöhung der Steuern für Unternehmen, die im weltweiten Wettbewerb
stehen, ist zu wenig.» Unter dem Strich drohten eher Mehrbelastungen,
etwa bei Lohnzusatzkosten. Gute Ansätze fänden sich bei mehr
Investitionen in Bildung und Breitbandausbau und dem klaren
Bekenntnis zu Europa.

- Der Deutsche Städte- und Gemeindebund begrüßte dagegen das
Ergebnispapier der Sondierungsgespräche. «Besonders die
Fortschreibung der Finanzmittel für die Kommunen in den Bereichen
Integration, Bauen und Verkehrspolitik ist ein ganz wichtiges
Signal.» Ähnlich äußerte sich der Deutsche Städtetag. «Mehrere

Vorhaben sind kommunalfreundlich. Dazu zählen zum Beispiel stärkere
Investitionen in die kommunale Infrastruktur und Maßnahmen, um
gleichwertige Lebensverhältnisse in Städten und Regionen zu
schaffen», erklärten Präsident Markus Lewe und Vizepräsident Ulrich

Maly.

- Der Sozialverband VdK steht der geplanten Grundrente, mit der die
Renten langjähriger Geringverdiener aufgebessert werden sollen,
kritisch gegenüber. «Die Zugangsvoraussetzungen sind aus unserer
Sicht fern der Lebenswirklichkeit. 35 Jahre Versicherungszeit sind
von vielen Menschen, vor allem Frauen, nicht erreichbar. Auch dürfen
Langzeitarbeitslose und Erwerbsminderungsrentner nicht ausgeschlossen
sein.»

- Der Vorsitzende des Hartmannbundes, Klaus Reinhardt, lobte, dass in
den Sondierungsgesprächen das Projekt Bürgerversicherung «beerdigt»

worden sei. Der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenversicherung
erklärte: «Mit den Stichwörtern Notfallversorgung, bessere Pflege und

Sicherstellung der flächendeckenden Gesundheitsversorgung sind
wesentliche Punkte angesprochen.» Aber damit in den Kliniken wirklich
mehr Geld am Krankenbett ankomme, brauche es ein Gesamtkonzept und
nicht einfach nur mehr Geld nach dem Gießkannenprinzip.