Spitzen von Union und SPD wollen Koalitionsverhandlungen Von Jörg Blank, Christiane Jacke, Nico Pointner, Marco Hadem, dpa

Nach 24 Stunden Verhandlungsmarathon: Die drei Parteichefs Merkel,
Schulz und Seehofer machen einen wichtigen Schritt hin zu einer neuen
großen Koalition. Doch ein Scheitern ist noch nicht ausgeschlossen.

Berlin (dpa) - Die Spitzen von Union und SPD streben nach langem
Ringen eine neue große Koalition an - trotz massiver Bedenken in den
Reihen der Sozialdemokraten. Kanzlerin Angela Merkel, SPD-Chef Martin
Schulz und der CSU-Vorsitzende Horst Seehofer verständigten sich am
Freitag in Berlin nach einer mehr als 24-stündigen Schlussrunde der
Sondierungen auf Grundzüge der Zusammenarbeit, mit denen vor allem
die SPD-Basis überzeugt werden soll. Über die Aufnahme von
Koalitionsverhandlungen entscheidet ein SPD-Parteitag am übernächsten
Sonntag - Ausgang offen.

Es soll keine Steuererhöhungen geben, aber eine Entlastung kleiner
und mittlerer Einkommen. Zudem soll eine Grundrente für langjährige
Geringverdiener eingeführt werden, heißt es in dem Ergebnispapier.
Der Flüchtlingszuzug soll begrenzt werden und der Nachzug für
Familienangehörige ausgesetzt bleiben. Schulz zeigte sich
optimistisch, dass die SPD ihm folgen wird. «Ich glaube, dass wir
hervorragende Ergebnisse erzielt haben.» Seehofer sprach von einem
«Aufbruch», die Kanzlerin von einem «Papier des Gebens und des
Nehmens».

Alle drei Parteivorsitzenden sind nach massiven Verlusten bei der
Bundestagswahl angeschlagen und für ihre eigene politische Zukunft
auf ein Zustandekommen einer neuen gemeinsamen Regierung angewiesen.
Vor allem Schulz steht unter Druck. Er will zusammen mit der
Parteispitze in den nächsten Tagen bei der Basis für eine Neuauflage
der ungeliebten großen Koalition werben. Die Jusos wollen dagegen
Widerstand mobilisieren. Sollte der Parteitag in Bonn zustimmen, soll
der mögliche schwarz-rote Koalitionsvertrag von einem
Mitgliederentscheid abgesegnet werden.

Merkel unterstrich nach Abschluss der Sondierungen, das Papier sei
«nicht oberflächlich». Es gehe um Zukunftsinvestitionen, besonders in

Kinder und Familien. Zudem müsse in Wohnungen, in den Verkehr sowie
in die Energiewende mehr investiert werden. 15 000 neue Stellen für
Polizisten seien nötig, Gerichte müssten entlastet werden. Die Welt
warte nicht auf Deutschland. Deshalb bedürfe es für Europa eines
neuen Aufbruchs. Sie sei sich nicht immer sicher gewesen in den
vergangenen 24 Stunden, dass es gelinge. Sie sei aber jetzt
optimistisch, dass die Dinge vorangehen.

Schulz sagte, man habe hart gerungen. Das Papier spiegele nun den
Wunsch nach Erneuerung wider, bei Familien, bei Bildung und bei der
digitalen Herausforderung. Der gesellschaftliche Zusammenhalt müsse
wieder gestärkt werden. Die Verhandlungen seien zum Teil turbulent
verlaufen, seien aber zu keinem Moment auf der Kippe gestanden. Die
drei Parteien seien bereit, Europa wieder stark zu machen.

Auch die CSU ist mit dem Sondierungsergebnis nach den Worten von
Seehofer «hochzufrieden». Daher sei für die CSU kein zusätzlicher
Parteitag zur Bestätigung nötig.

Wie aus dem fast 30 Seiten starken Papier hervorgeht, haben sich die
Spitzen der drei Parteien auf eine Rückkehr zur paritätischen
Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung geeinigt. Demnach
sollen die Beiträge wieder zu gleichen Teilen von Arbeitgebern und
Arbeitnehmern bezahlt werden. Zur Zeit werden 14,6 Prozent je zur
Hälfte gezahlt, den Rest, der im Schnitt bei einem Prozentpunkt
liegt, bezahlen die Arbeitnehmer alleine.

Die von der SPD geforderte Anhebung des Spitzensteuersatzes soll
nicht kommen. Es gebe keinen Steuererhöhungen, hieß es. Das
Rentenniveau soll bis 2025 bei 48 Prozent gehalten werden. Die SPD
wollte eigentlich das Niveau für einen längeren Zeitraum halten.
Zudem solle eine Grundrente eingeführt werden, betonte Seehofer.
Merkel bekräftigte, nun eine Renten-Kommission für die Zeit nach 2025
einzusetzen.

Der Solidaritätszuschlag soll dem Vernehmen nach in dieser
Legislaturperiode um 10 Milliarden Euro abgebaut werden. Das soll
kleine und mittlere Einkommen bis zu etwa 60 000 Euro betreffen. Das
Kindergeld soll in zwei Schritten um 25 Euro erhöht werden.

Die Zuwanderung von Flüchtlingen solle in einer Spanne von 180 000
bis 220 000 begrenzt werden. Auch der Familiennachzug für Flüchtlinge
mit eingeschränktem Schutzstatus soll sehr eng begrenzt werden. Er
soll zunächst weiter ausgesetzt bleiben, bis eine Neuregelung
gefunden ist, und dann auf 1000 Menschen pro Monat begrenzt werden.

Obwohl die Wünsche der drei Parteien insgesamt an die 100 Milliarden
Euro teuer geworden wären, solle jetzt der finanzielle Spielraum von
bis zu 45 Milliarden Euro eingehalten werden, hieß es. Die Union
pochte dem Vernehmen nach angesichts der sprudelnden Steuereinnahmen
auf die «schwarze Null» - also den Verzicht auf neue Schulden im
Bundeshaushalt.