Wohl weltweit einer von dreien: Münsteraner Patient immun gegen Rizin Von Kristin Kruthaup, dpa

Rizin gilt als eines der tödlichsten Gifte der Welt. An der Uniklinik
in Münster ist ein Mann Patient, der wohl als einer von drei Menschen
weltweit dagegen immun ist. Für die Forschung ein Glücksgriff.

Münster (dpa) - Ein paar Milligramm Rizin - mehr braucht es nicht, um
binnen Stunden den stärksten Sportler zu töten. Der zarte Jakob*
dagegen würde eine Attacke mit dem Gift überstehen. Aufgrund eines
genetisch bedingten Stoffwechsel-Defekts ist der 20-Jährige dagegen
immun - als einer von drei Menschen weltweit, die bekannt sind. «Für
die Forschung ist Jakob ein Glücksgriff», sagt Prof. Thorsten
Marquardt, der am Uniklinikum Münster den Bereich Angeborene
Stoffwechselerkrankungen leitet. Auch dank ihm versteht man den
Aufnahmemechanismus des Gifts besser. «Wo man die Mechanismen kennt,
kann man Gegengifte entwickeln», erklärt Marquardt.

Rizin gilt als eines der tödlichsten Gifte der Welt. Im
Kriegswaffenkontrollgesetz ist es als Kriegswaffe gelistet. «Rizin
ist immer wieder Thema, wenn es um bioterroristische Angriffe geht»,
sagt Marquardt. Rizin kam etwa zum Einsatz, als 1978 der bulgarische
Dissident Georgi Markow in London von einem Mann mit einem mit Rizin
präparierten Regenschirm vergiftet wurde. Markow starb wenige Tage
später. Hinter dem Mord wird das damalige kommunistische Regime in
Bulgarien vermutet. Im April 2013 war Rizin in den Schlagzeilen, weil
das FBI einen mit dem Gift versehenen Brief an Obama abfing.

Rizin ist ein Protein aus den Samen des Wunderbaums. Mitunter ist die
Dosis weniger Samenkörner tödlich. «Symptome einer Vergiftung sind
etwa Erbrechen, Durchfall, Kreislauf- und Nierenversagen», erläutert
der Toxikologe Prof. Markus Christmann von der Universitätsmedizin
Mainz. Rizin blockiert ein wichtiges Enzym im Körper. Bislang gibt es
laut Christmann kein Gegengift.

Jakob kam 1997 mit 770 Gramm deutlich zu früh auf die Welt. «Mit ihm
war immer was», erinnert sich seine Mutter. Bereits am ersten Tag
nach der Geburt muss der Junge operiert werden, weitere OPs folgen.
In seinen ersten beiden Lebensjahren hat Jakob häufig hohes Fieber.
«Wir konnten uns lange nicht erklären, warum er immer wieder das
Fieber hat», erinnert sich Marquardt. Ein junger Arzt auf der Station
sei dann auf die richtige Spur gekommen: «Er biss sich daran fest,
dass Jakob viel zu viele weiße Blutkörperchen hat», erzählt
Marquardt.

Über Umwege kam der Arzt darauf, dass Jakob aufgrund eines
genetischen Defekts keine Fucose produzieren kann - das ist ein
Zucker, den jeder Mensch im Körper hat. «Es gibt nur zwei weitere
Menschen auf der Welt, von denen bekannt ist, dass sie den gleichen
Defekt haben», sagt Marquardt. Sie leben beide in Israel. Weil man
den Gendefekt nun kannte, konnten die Ärzte eine Therapie entwickeln:
Heute führen sie dem jungen Mann Fucose künstlich zu.

Menschen mit seltenen Erkrankungen laufen oft jahrelang von einem
Arzt zum anderen, bis man rausgefunden hat, was sie haben. Eine
Erkrankung gilt in der EU laut dem Nationalen Aktionsbündnis für
Menschen mit Seltenen Erkrankungen (NAMSE) dann als selten, wenn
nicht mehr als 5 von 10 000 Menschen davon betroffen sind.
Schätzungsweise gibt es circa vier Millionen Menschen in Deutschland,
die an einer seltenen Erkrankung leiden - allein in NRW sind laut dem
Gesundheitsministerium NRW etwa 900 000 Menschen betroffen. Es
bezieht sich dabei auf Einschätzungen der Uni-Klinik Aachen.

Seit 2010 arbeitet das NAMSE daran, auf dem Gebiet der seltenen
Erkrankungen ein koordiniertes Handeln zu erreichen - dazu gehört,
dass Fachzentren gegründet werden. Bundesweit gebe es derzeit 28
Zentren, erklärt Christine Mundlos von der Allianz Chronischer
Seltener Erkrankungen (Achse). Bislang fehle es aber an einem
Zertifizierungsverfahren - die Kliniken können sich selbst
Fachzentrum nennen. Man arbeite daran, dass sich das ändere.

Dass Jakob gegen Rizin immun ist, kam erst später heraus.
«Wissenschaftler der Universität Wien haben an der Entschlüsselung
des Wirkmechanismus von Rizin gearbeitet», erzählt Marquardt. Sie
hatten den Verdacht, dass durch zwei Gene des Menschen Rizin tödlich
wirkt, eines davon ist bei Jakob defekt. Sie forderten deshalb eine
Hautprobe an. «So haben wir über Jakobs seltene Erkrankung noch neue
wissenschaftliche Erkenntnisse bekommen», sagt Marquardt.

Jakob ist durch seine seltene Stoffwechselkrankheit schwer körperlich
und geistig beeinträchtigt - er kann nur schlecht laufen und sich
Fremden gegenüber kaum artikulieren. Als die Ärzte herausfanden,
woran Jakob leidet, war seine Entwicklung bereits irreparabel
beeinträchtigt. Seine Mutter sieht es deshalb eher nüchtern, dass
Jakob aufgrund seiner Besonderheit immun gegen Rizin ist. «Ich habe
nichts davon», sagt sie. «Ich freue mich einfach, dass er noch lebt,
nach allem, was er durchgemacht hat.»