Blaue Haut, schneller Tod - Spanische Grippe jährt sich zum 100. Mal Von Gisela Gross, dpa

Sie war schnell, ansteckend, tödlich: Die Spanische Grippe traf die
Menschen ab 1918 so hart wie keine andere Pandemie der Moderne. Wie
konnte das passieren? Und sind wir heute vor derartigen Seuchen
gefeit?

Berlin (dpa) - Bis sie die Erde umrundet hatte, dauerte es nur wenige
Monate. Die Menschen starben ihretwegen reihenweise, besonders im
Herbst 1918. Es geht nicht um eine Großmacht im Ersten Weltkrieg
(1914-1918), sondern um die Spanische Grippe, an der nach Schätzungen
mehr Menschen umkamen als bei den Kampfhandlungen. Sie entwickelte
sich in drei Wellen bis 1920 zur schlimmsten Grippe-Pandemie der
Geschichte mit 27 bis 50 Millionen, manchen Quellen zufolge sogar bis
zu 100 Millionen Toten.

Anders als bei anderen derartigen Katastrophen sucht man Denkmäler
und Relikte jener Zeit nahezu vergeblich, selbst Fotos sind eher rar.
Einer Art kollektivem Vergessen sei die vielleicht größte
Vernichtungswelle der Menschheitsgeschichte anheimgefallen, heißt es
in dem Buch «1918 - Die Welt im Fieber» der Wissenschaftsjournalistin
Laura Spinney, das am 29. Januar erscheint. Erst in jüngerer
Vergangenheit sei die Spanische Grippe vermehrt ins Bewusstsein der
Menschen gerückt, auch weil sie zum Stoff von Büchern, Filmen und
Serien wie «Downtown Abbey» wurde. Zuvor: nicht viel mehr als eine
Fußnote des Weltkriegs.

Dabei sollen allein im Deutschen Reich einer Studie zufolge rund
426 000 Menschen der Grippe zum Opfer gefallen sein - das entspricht

einer mittleren Großstadt, einfach ausradiert. «Bei unserem heutigen
Gesundheitssystem wäre das unerträglich, praktisch nicht
vorstellbar», sagt die Grippe-Expertin Silke Buda vom Robert
Koch-Institut (RKI) in Berlin. Gleichwohl: Indien und Südafrika etwa
erwischte es sehr viel heftiger. Und längst nicht aus allen Ländern
gibt es überhaupt Daten.

Aussagen mit letzter Sicherheit sind daher schwierig. Der Berliner
Historiker und Oberarzt der Charité, Wilfried Witte, hat über die
Spanische Grippe geforscht. Der Deutschen Presse-Agentur sagte er, es
habe damals alles relativ harmlos begonnen. Während der ersten
Ansteckungswelle im Frühjahr 1918 erkrankten zwar sehr viele
Menschen, aber relativ wenige starben. Im Herbst nahm jedoch eine
weitere, tödliche Welle ihren Lauf. Gerade dort, wo Menschen geballt
aufeinandertrafen, wie in Rekruten- und Kriegsgefangenenlagern,
hätten sich auf einen Schlag zahlreiche Menschen angesteckt.

«Die meisten sind an einem akuten Lungenversagen gestorben. Das ging
rapide schnell vonstatten», sagt Witte. Therapien wie invasive
Beatmung standen Ärzten noch nicht zur Verfügung. Wenn überhaupt
hätten Kranke in der Regel Mittel zur Kreislaufstärkung bekommen. «So

etwas hat natürlich nicht geholfen», so Witte.

Selbst der spanische König soll an dem damals noch unbekannten
Erreger erkrankt sein. Es ist ein Grund, aus dem die Pandemie als
«Spanischen Grippe» in die Geschichte einging. Dass sie nicht von
dort kam, ist aber relativ sicher. Um den wahren Ursprung ranken sich
mehrere Theorien. Witte zufolge wird angenommen, dass die Grippe im
März 1918 zuerst Schüler und Soldaten in Kansas, USA, krank machte.
Mit Truppenschiffen soll das Virus auch nach Europa gelangt sein. Die
Menschen steckten sich durch winzige Tröpfchen beim Husten oder
Niesen an, wohl jeder Ort hatte Opfer zu beklagen.

Ärzte sahen bei Infizierten gewisse Muster: Nicht nur starben
ungewöhnlich oft vermeintlich robuste Menschen zwischen 20 und 40
Jahren. Auch hatte sich die Haut der Erkrankten oft dunkelblau
verfärbt - Zeichen der Unterversorgung mit Sauerstoff, wie Witte
sagt. Wegen des fast schon schwarzen Teints hätten sich die Menschen
an die Pest erinnert gefühlt.

Zeitgenössische Ärzte hielten ein «Grippe-Bakterium» für die Ursa
che,
obwohl man diese Theorie damals schon anzweifelte. Der wahre
Auslöser, das Influenza-Virus, sollte später entdeckt werden - 1933.
Inzwischen sehen Wissenschaftler die Spanische Grippe nicht mehr
unbedingt als Einzelfall, sondern als Prototyp von Pandemien. Sie
kann sich wiederholen - das zeigten etwa die Asiatische Grippe (1957)
und die Hongkong-Grippe (1968), wenn auch in geringerem Ausmaß.

Und in Zukunft? Damals seien die Umstände andere gewesen als heute,
betont Buda. Genau die gleiche Situation wie 1918 werde so nicht mehr
eintreten. Damals seien die Lebensbedingungen viel schlechter
gewesen. Viele Menschen hätten auch zusätzlich schon andere
Krankheiten wie Tuberkulose (Schwindsucht) gehabt. Gegen oftmals
tödliche bakterielle Lungenentzündungen, die auf die Grippe folgten,
waren Ärzte machtlos: Antibiotika gab es noch nicht.

Gleichwohl gebe es heute andere große Herausforderungen, sagt Buda.
Dazu gehörten zum Beispiel zunehmende Antibiotika-Resistenzen. Zudem
könne der globale Reiseverkehr zu einer noch viel schnelleren
Virus-Verbreitung weltweit führen als 1918. «Die Menschen werden
heute zudem sehr viel älter als früher, haben dann aber oftmals
Grunderkrankungen und sind anfälliger für schwere
Krankheitsverläufe», sagt sie.

Klar ist für Experten: Es muss nicht zwangsläufig im Winter zu eine
r
Pandemie kommen. Ganzjährig hat das RKI deshalb ein Auge auf akute
Atemwegserkrankungen. Auch potenziell pandemische Viren weltweit sind
im Blick: «Es ist eher wahrscheinlich, dass ein Virus sich im Moment
in Vögeln oder Schweinen vermehrt und noch nicht die Fähigkeit hat,
von Mensch zu Mensch übertragbar zu sein», sagt Buda. Bestimmte
Vogelgrippe-Viren in China würden derzeit als mögliche
Pandemie-Auslöser erachtet. Diese Einschätzung bedeute aber noch
lange nicht, dass diese Erreger tatsächlich eine Pandemie auslösen
können, betont Buda.