Mord aus Hass auf Schwule? - Prozess gegen Jugendlichen eröffnet Von Thomas Burmeister, dpa

Ein Mann stirbt in einer Lache aus Blut, sein Körper ist übersät mit

Messerstichen. Welcher Mensch mordet derart brutal? Hass auf Schwule
soll ein Teil des Motivs gewesen sein. Zur Tatzeit war der Angeklagte
gerade mal 15.

Ulm (dpa) - Keine Kameras, keine Reporter, kein Publikum: «Nicht
öffentliche Sitzung» steht am Eingang zum Saal 126 des Landgerichts
Ulm. Seit Dienstag wird dort über einen Mord verhandelt, den ein
15-Jähriger begangen haben soll. Jetzt ist er 16. Mit drei Messern
soll er einen 64 Jahre alten Mann in dessen Wohnung getötet haben.
Und zwar - so die Staatsanwaltschaft - «aus Abneigung gegenüber
Homosexuellen und um Wertsachen des Mannes an sich zu nehmen».

Verhandelt wird nach Jugendstrafrecht. Eigentlich sind selbst die
Angehörigen eines Beschuldigten von so einem Prozess ausgeschlossen.
Das Gericht macht eine Ausnahme: Bei der Verlesung der Anklage dürfen
Mitglieder der türkischstämmigen Familie des Beschuldigten, der die
deutsche Staatsangehörigkeit hat, noch anwesend sein.

Ihre Gesichter sind von Sorgen gezeichnet, als sie auf den Einlass
warten. Eine Frau in traditioneller Kleidung, die Stiefmutter, ist
den Tränen nahe. Der Vater des Angeklagten legt ihr einen Arm um die
Schulter. Die Familie lebt in Mannheim. Nach einem Schulverweis war
der Sohn ausgerissen. In Ulm lebte er auf der Straße - immer auf der
Suche nach Essen, Trinken und einem Schlafplatz.

So war es auch an jenem verhängnisvollen Abend des 23. Mai. Am
Hauptbahnhof begegnete der junge Mann seinem späteren Opfer. Der
ältere Mann nahm Jungen mit in seine Wohnung im nahegelegen
Dichterviertel. Bei den Nachbarn war der 64-Jährige bekannt und
beliebt. «Man konnte gut mit ihm reden», sagt eine Frau.

Dass der Alleinstehende vielleicht schwul war, störte niemanden.
Seinen späteren Mörder soll es jedoch stark abgestoßen haben. Als der

Mann ihm 50 Euro für Fotoaufnahmen bot und ihn dann noch - «ohne
Nachdruck», wie das Gericht betont - zu sexuellen Handlungen
aufforderte, soll der 15-Jährige ausgerastet sein.

Immer wieder habe er mit einem Küchenmesser auf sein Opfer
eingestochen. Als es abbrach, so heißt es in der Gerichtsmitteilung
unter Berufung auf die Anklage, habe der Junge mit anderen
Gegenständen auf das Opfer eingeschlagen. Dann habe er zwei weitere
Messer aus der Küche geholt und weiter auf den Schwerverletzten
eingestochen, «bis dieser aufgrund des enormen Blutverlustes an Ort
und Stelle verstarb».

Anschließend soll der Angeklagte Bargeld und eine Digitalkamera
eingesteckt haben, ehe er das Sofa und diverse Kleidungsstücke
anzündete. Ein Nachbar schlug Alarm, die Feuerwehr konnte den
Wohnungsbrand rasch löschen. Der Tatverdächtige wurde wenig später
gefasst. Bei der Vernehmung war er weitgehend geständig.

Aufgrund seiner Angaben geht die Anklage von einer Diebstahlsabsicht
und - hinsichtlich des Mordes - von «homophoben Motiven» aus. «Unter

Homophobie verstehen wir eine mehr oder weniger stark ausgeprägte
Ablehnung von Schwulen und Lesben sowie auch von Bisexuellen und von
Transgender-Menschen», erläutert Oberarzt Marc Allroggen von der
Ulmer Universitätsklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie.

Die Gründe dafür seien «sehr verschieden» und könnten «von
persönlichen negativen Erfahrungen mit Homosexuellen über Neid auf
beruflich oder in der Schule erfolgreiche Nicht-Heterosexuelle bis
hin zu Unsicherheiten hinsichtlich der eigenen sexuellen Orientierung
reichen». Allerdings spiele bei einer so extremen Tat wie einem Mord
«zusätzlich wohl auch ein erheblicher Hang zu gewalttätigen
Reaktionen eine Rolle».

Bis Ende Januar will das Gericht unter Vorsitz des erfahrenen
Richters Wolfgang Tresenreiter zu einem Urteil kommen - auch mit
Hilfe eines psychiatrischen Gutachtens. Dass es in den vergangenen
Jahren laut Bundesinnenministerium eine deutliche Zunahme von
Gewaltdelikten gegen Homosexuelle gegeben hat, wird den Richtern
nicht entgangen sein. Zu urteilen haben sie jedoch allein nach der
Beweislage sowie den Tatumständen und dem Bild, das sie sich vom
mutmaßlichen Täter und den konkreten Motiven machen.

Dabei wird es an den kommenden Verhandlungstagen auch um dessen
angebliche Homophobie und deren Ursachen gehen. Damit der Jugendliche
seine Aussagen ohne Rücksichtnahme und ohne jedwede potenzielle
Einschüchterung machen kann, darf dann auch niemand mehr von seiner
Familie im Saal sein.