Gefährliche Erschütterung: Hirnschäden bei Football und anderem Sport Von Andrea Barthélémy, dpa

US-Präsident Donald Trump beklagt, Football sei nicht mehr das harte
Spiel, das es früher war. Aber immer neue Erkenntnisse zeigen, dass
der Sport nach wie vor gravierende Hirnschäden hervorruft. Das
jüngste tragische Beispiel analysierten US-Ärzte gerade.

Washington (dpa) - Als Ärzte das Gehirn des früheren Football-Stars
Aaron Hernandez (27) in feine Scheiben sezieren, bietet sich ihnen
einen gruseliges Bild: Weite Teile des äußerlich normal aussehenden
Hirns sind im Inneren löchrig und stark beschädigt. Chronische
traumatische Enzephalopathie (CTE) dritten Grades lautet die Diagnose
der Experten vom CTE-Center der Boston University. Hernandez hatte
sich im April in einer Gefängniszelle das Leben genommen, wo er eine
lebenslange Haftstrafe wegen Mordes verbüßen sollte. Derart heftige
Schäden habe sie zuvor nur bei wesentlich älteren Menschen gesehen,
betonte die Leiterin des CTE-Centers, Ann McKee.

CTE, eine schwere degenerative Hirnerkrankung, kommt oft bei Menschen
vor, die viele Gehirnerschütterungen oder Schläge auf den Kopf
erlitten haben. Lange war sie deshalb vor allem als
Boxer-Enzephalopathie bekannt. Aber seit einigen Jahren ist klar,
dass auch andere Kontaktsportarten betroffen sind, vor allem American
Football. Viele Ex-Spieler leiden an Gedächtnisschwund,
Wutausbrüchen, Depressionen oder Demenz. Bei mehr als 100 wurde nach
ihrem Tod CTE diagnostiziert, einige davon hatten sich das Leben
genommen.

Im Detail heißt CTE: Teile des Frontallappens, der für Entscheidungen
und Impulskontrolle wichtig ist, sind mit abgelagerten sogenannten
Tau-Proteinen überzogen. Hirnventrikel - mit Hirnwasser gefüllte
Hohlräume - sind erweitert. Der für das Gedächtnis wichtige
Hippocampus ist geschrumpft. Und der Mandelkern, der Gefühle, vor
allem Angst managt, ist stark beeinträchtigt.

«Wir können das Verhalten nicht aus der Pathologie erklären», sagte

McKee laut «Washington Post» bei der Präsentation der erschreckenden

Ergebnisse. «Aber wir können sagen, dass Individuen mit CTE - und CTE
von dieser Schwere - insgesamt in unserer kollektiven Erfahrung
Schwierigkeiten mit Impulskontrolle, Entscheidungsfindung, der
Hemmung von Aggressionen, emotionaler Labilität und Wutanfällen
haben.»

Das galt auch für Hernandez, der seit seiner High-School-Zeit nicht
nur als Football-Talent auffiel, sondern ebenso durch impulsives
Verhalten, später Drogen- und Gewaltdelikte. Auch ein
40-Millionen-Vertrag bei den Patriots hielt ihn nicht auf der geraden
Bahn.

Eines macht McKee besondere Sorgen: «Wir sehen eine Beschleunigung
der Krankheit bei jungen Sportlern. Ob das daher kommt, weil sie
aggressiver spielen oder weil sie jünger anfangen, wissen wir nicht.»

Dies treibt seit einiger Zeit auch viele Eltern in den USA um. Obwohl
die Regeln nicht nur bei Erwachsenen, sondern auch in vielen Kinder-
und Jugendligen angepasst sind, zögern viele Eltern, ihre Kinder
überhaupt noch Football spielen zu lassen. Aber auch Sportarten wie
Fußball sind von der wachsenden Sorge betroffen. Denn Gehirne von
Heranwachsenden reagieren besonders sensibel auf Erschütterungen.

Neue Erkenntnisse, die Forscher vor einigen Tagen auf dem
Jahrestreffen der Gesellschaft für Neurowissenschaften in Washington
vorstellten, unterstreichen das. Eine Studie der McMaster University
(Ontario) zeigt, dass nicht nur Gehirnerschütterungen, sondern schon
leichtere Stöße gegen den Kopf die Gedächtnisleistung zeitweise
messbar verschlechtern.

Dazu ließ Forscherin Melissa McCradden Football-, Fußball- und
Rugby-Spieler drei Erinnerungstests am Computer machen. Ergebnis:
Während der Saison konnten sich sämtliche Spieler schlechter erinnern
als vor der Saison oder in der Erholungsphase danach. Die Ergebnisse
stünden jeweils im Zusammenhang mit der aktuellen Fähigkeit des
Gehirns, neue Neuronen zu bilden, folgert McCradden.

Kritische Nachrichten gab es zudem für den Mädchen- und
Frauenfußball: Spielerinnen tragen demnach nach Kopfbällen offenbar
mehr neuronale Schäden davon als ihre männlichen Kollegen. Forscher
des Albert Einstein College of Medicine (Bronx) untersuchten dazu mit
einem bildgebenden Verfahren die Gehirne von je 49 Spielerinnen und
Spielern. Ergebnis: Mehr Kopfbälle verschlechterten bei beiden
Geschlechtern die Leitfähigkeit von Nervenfortsätzen (Axonen) - bei
den Männern aber nur in drei Hirnregionen, bei den Frauen in acht und
zumeist auch anhaltender. Die Gründe dafür sind noch unklar.

Verbände reagieren bereits - unterschiedlich konsequent allerdings:
In den USA schreibt die US Soccer Federation seit 2015 vor, dass
Kinder unter 10 Jahren überhaupt keine Kopfbälle machen dürfen.
Zwischen 11 und 13 Jahren ist das im Spiel erlaubt, aber im Training
verboten. Der Deutsche Fußballbund macht bisher keine Vorgaben - rät
aber, erst mit 13 oder 14 Jahren mit dem Kopfballtraining anzufangen,
wenn die Nacken- und Kopfmuskulatur kräftiger ist.

Eine breite Diskussion beginnt erst zögerlich. Noch gibt es Bilder
wie das vom jungen Nationalspieler Christoph Kramer, der 2014 im
WM-Endspiel gegen Brasilien mit Gehirnerschütterung von den Ärzten
aufs Spielfeld zurückgeschickt wird und dort herumtaumelt.