Arme Männer! Warum echte Kerle tatsächlich leichter krank werden Von Janne Kieselbach, dpa

Von wegen starkes Geschlecht: Wenn Erkältung oder Grippe drohen,
wirken Männer gerne mal weinerlich und ängstlich. So zumindest sagen
manche. Forscher erklären jetzt: Die Sorgen der Männer sind nicht
ganz unbegründet.

Berlin (dpa) - «Männer haben's schwer, nehmen's leicht», sang Herbert

Grönemeyer in den Achtzigerjahren und landete einen großen Hit. Doch
viele Frauen, die einen Mann mit drohender Erkältung zu Hause haben,
erleben eher einen Jammerlappen als einen starken Kerl - sagen sie
zumindest. So hält sich hartnäckig das Klischee vom Mann, der bei
einer kribbeligen Nase und leichtem Halskratzen gleich schwere Qualen
erleidet. So manche Frau möchte da genervt umdichten: «Männer haben's

leicht, nehmen's trotzdem schwer.»

Doch während sich die männliche Furcht vor kleinsten Erkältungen in
jedem Herbst als vergnügliches Smalltalk-Thema eignet, bleiben die
Ursachen für den sogenannten «Männerschnupfen» ungeklärt. Könnt
e am
Klischee wissenschaftlich etwas dran sein? Werden Männer tatsächlich
leichter oder stärker von Erkältungs- und Grippeviren angegriffen als
Frauen?

Wer solchen Fragen nachgeht, landet früher oder später bei Beatrix
Grubeck-Loebenstein. Die Immunologin von der Universität Innsbruck
untersucht seit Langem, wie sich die Immunsysteme von Frauen und
Männern unterscheiden. Ihre Ergebnisse geben all jenen Männern
Hoffnung, die sich in ihrer Angst vor Schnupfen und Fieber von der
Frauenwelt nicht ernstgenommen fühlen. «Grob vereinfacht lässt sich
feststellen, dass Männer durch die Unterschiede in der Immunantwort
häufiger krank werden können als Frauen», sagt Grubeck-Loebenstein im

Vorfeld des Internationalen Männertags am 19. November, bei dem es
unter anderem um die Gesundheit von Männern geht.

Um die Schwäche des starken Geschlechts zu verstehen, muss man in die
Tiefen des menschlichen Immunsystems eintauchen. Dringen
Krankheitserreger in den Körper ein, werden sie durch körpereigene
Immunzellen bekämpft. Es gibt grundsätzlich zwei Arten dieser Helfer
in der Not: spezifische und unspezifische Immunzellen. Erstere sind
nur gegen ganz bestimmte Krankheitserreger wirksam - sie sind quasi
die Experten auf ihrem Gebiet. Müssen zum Beispiel Grippeviren
bekämpft werden, kommen andere spezifische Immunzellen zum Tragen als
bei einer Herpesinfektion. Auf diese Weise kann sich der Mensch gegen
eine Vielzahl von Viren, Bakterien oder Parasiten zur Wehr setzen.

Doch die Vielfalt der spezifischen Immunzellen hat einen Haken: Von
diesen Experten gibt es im Körper jeweils nur eine geringe Menge. Um
eindringende Krankheitserreger tatsächlich besiegen zu können, müssen

sie sich millionenfach vermehren. Und genau hier kommt der
Unterschied zwischen Frauen und Männern zum Tragen.

Während das weibliche Hormon Östrogen die Vermehrung der spezifischen
Immunzellen unterstützt, wirkt sich das männliche Hormon Testosteron
genau gegenteilig aus. «Östrogen stimuliert das Immunsystem,
Testosteron hingegen unterdrückt es. Das Immunsystem von Frauen
reagiert deshalb schneller und aggressiver gegen Krankheitserreger
als das von Männern», erklärt Marcus Altfeld vom
Heinrich-Pette-Institut in Hamburg. Hinzu kommt: Je höher der
Testosteron-Spiegel ist, desto mehr wird das männliche Immunsystem
geschwächt. Echte Kerle trifft es also noch härter.

Über die Ursachen dieses Unterschieds zwischen den Geschlechtern
können die Forscher nur vage Aussagen machen. Altfeld verweist
darauf, dass sich das menschliche Immunsystem über Jahrmillionen
entwickelt habe. Eine mögliche Erklärung müsse daher weit
zurückblicken: «Unsere Vorfahren in der Steinzeit lebten in
gemeinsamen Höhlen und setzten sich Gefahren aus. Die Aufgabe des
weiblichen Immunsystems war es schon damals, das ungeborene oder
neugeborene Kind besonders zu schützen.» Dieser Zusammenhang könnte
auch den Einfluss der Hormonaktivität erklären. «Der Effekt des durch

Östrogen gestärkten Immunsystems ist bei jungen Frauen ab der
Pubertät besonders ausgeprägt und wird bei Frauen nach der Menopause
schwächer», erklärt Grubeck-Loebenstein.

Die geschlechterspezifischen Unterschiede in der Immunantwort können
also tatsächlich eine wichtige Begründung dafür liefern, warum Männ
er
für viele Krankheiten anfälliger sind als Frauen - und zwar nicht nur
für Erkältung und Grippe. Doch die Anfälligkeit allein mit dem
Testosteron-geschwächten Immunsystem zu erklären, würde zu kurz
greifen. «Auch weitere Faktoren spielen eine Rolle, die sich stärker
auf das Verhalten und die Umwelt beziehen. Männer leben immer noch
risikoreicher, sie ernähren sich ungesünder und sie lassen sich
weniger diszipliniert impfen», sagt Grubeck-Loebenstein. Kurzum:
Gänzlich können sich Männer nicht auf die Natur berufen - sie haben
ihr Schicksal zumindest teilweise selbst in der Hand.

Auch wenn die Forschung über Unterschiede zwischen männlicher und
weiblicher Krankheitsabwehr in den letzten Jahren zugenommen hat,
hält Marcus Altfeld den Stand des Wissens immer noch für
unzureichend: «Es wird heutzutage viel über personalisierte Medizin
geredet, das Individuum soll immer stärkere Berücksichtigung in der
Forschung finden. Dabei wissen wir noch nicht einmal genug über die
Unterschiede zwischen den Geschlechtern.»

So manche Frau, die in einer Beziehung lebt, dürfte sich hingegen
sehr gut über diese Unterschiede informiert fühlen - und zwar aus
erster Hand. Sobald eine Erkältungswelle den Mann erwischt, sind
Anfälligkeit und Wehleidigkeit selbsterklärend. Und am Ende hat
Grönemeyer vielleicht doch ein bisschen recht, wenn er singt: «Männer

brauchen viel Zärtlichkeit. Männer sind so verletzlich.»