Forschungsprogramm untersucht Erinnerung an Pariser Anschläge

Die Anschläge von Paris jähren sich zum zweiten Mal. In einem
großangelegten Programm untersuchen Wissenschaftler, welche Folgen
das Drama langfristig hat - für Überlebende und für die französisch
e
Gesellschaft.

Paris (dpa) - Die Pariser Terroranschläge vor zwei Jahren haben
Frankreich tief erschüttert. In einem auf zwölf Jahre angelegten
Forschungsprogramm gehen Wissenschaftler der Frage nach, wie sich das
gesellschaftliche Gedächtnis bei einem so einschneidenden Ereignis
entwickelt und wie die Überlebenden damit umgehen. Es gehe darum, die
Konstruktion der Erinnerung an die Anschläge zu verstehen, erläuterte
der Neuropsychologe Francis Eustache der Deutschen Presse-Agentur.
Eustache leitet das interdisziplinäre Programm gemeinsam mit einem
Historiker.

Zum Programm gehören Videointerviews mit rund 1000 Menschen. Darunter
sind Überlebende der Anschläge vom 13. November 2015, aber auch
Unbeteiligte. Sie sollen innerhalb von zehn Jahren viermal zu ihren
Erinnerungen befragt werden. Es geht auch um die Frage nach dem
Zusammenspiel von individuellem und kollektivem Gedächtnis.

Eine weitere Studie befasst sich mit Posttraumatischen
Belastungsstörungen (PTBS), einer psychischen Erkrankung infolge
einer traumatischen Erfahrung. 120 direkt Betroffene der Anschläge -
Überlebende und Einsatzkräfte - werden neuropsychologisch untersucht.
Die Frage: Warum erkranken manche Betroffene an PTBS und andere
nicht?

Die Hälfte der Studienteilnehmer habe die Störung entwickelt, die
andere nicht, sagte Eustache. Typisch sind wiederkehrende Symptome
des Wiedererlebens (Intrusionen). «Das sind Bilder, Töne, Gerüche,
die sich der Person aufdrängen», so Eustache. «Die Person hat den
Eindruck, dass diese Eindrücke aufs Neue präsent sind. Das ist nicht
wie in einer Erinnerung.»

Die 120 Teilnehmer wurden im vergangenen Jahr erstmals im Rahmen der
Studie untersucht, dies soll 2018 und 2021 wiederholt werden. Dazu
gehören unter anderem Gespräche mit einem Psychiater und
MRT-Aufnahmen des Gehirns. Als Vergleichsgruppe werden Menschen aus
Caen untersucht, die von den Anschlägen nicht direkt betroffen waren.

«Das ist ein sehr anderes Studiendesign, als man normalerweise hat»,
sagte Eustache. Üblicherweise würden bei Studien zu PTBS von
Symptomen betroffene Menschen, etwa Veteranen oder Missbrauchsopfer,
mit unbeteiligten Gesunden verglichen. Hier gebe es nun eine weitere
Gruppe: Betroffene, die keine Posttraumatische Belastungsstörung
entwickelt haben.

Untersucht werden etwa kognitive Kontrollmechanismen, Ziel ist ein
besseres Verständnis der PTBS. Ergebnisse liegen noch nicht vor.
Getragen wird das Programm von den großen nationalen
Forschungsorganisationen CNRS und Inserm.

Bei den Anschlägen vom 13. November 2015 hatten Terrorkommandos bei
Anschlägen im Musikclub «Bataclan», auf Bars und Restaurants im Osten

von Paris sowie am Stadion Stade de France 130 Menschen getötet.