Die neue Medizinwelt: Wenn das Pflaster die Wunde überwacht Von Dorothea Hülsmeier, dpa

Intelligentes Pflaster, Ultraschall «to go», 3D-Datenbrille im OP -
die Digitalisierung hat die Medizin erfasst. Der Arztberuf wird sich
durch Apps, Clouds und Roboter verändern.

Düsseldorf (dpa) - Das «intelligente Pflaster» überwacht die
Wundheilung und meldet Unregelmäßigkeiten per App dem Arzt oder
Patienten. Ein Handschuh mit Sensoren misst Signale, leitet die Daten
an einen externen Netzwerkspeicher weiter. So sollen für bestimmte
Epilepsie-Typen Anfälle vorausgesagt werden können. Oder der Chirurg
setzt eine 3D-Brille auf, die ihm bei einer Tumoroperation die exakte
Position eines Lymphknotens übermittelt.

Die Digitalisierung der Medizinwelt erscheint manchmal wie
Science-Fiction. In Arztpraxen, Kliniken oder auf dem Handy des
Patienten ist sie oft schon Realität. Zur Bühne für den technischen
Fortschritt in der Medizinbranche wird von Montag bis Donnerstag
wieder die weltgrößte Medizinmesse Medica in Düsseldorf mit mehr als

5000 Ausstellern. «Digitalisierung» - das Wort ist überall zu hören
.

Vernetzung, Clouds, Apps, Big Data, Künstliche Intelligenz und
Roboter prägten die medizinische Produktentwicklung immer stärker,
verkünden die Veranstalter. Dass der Deutsche Krankenhaustag ein
Sonderprogramm in Höhe von einer Milliarde Euro für eine
Digitalisierungsoffensive in den Kliniken fordert, wirkt fast wie ein
Subtext zu diesem Befund.

Ein Allheilmittel ist die Digitalisierung nach Einschätzung von
Experten aber nicht: «Nicht alles, was digital ist, ist automatisch
gut, und nicht alles, was man selber messen kann, ist immer
hilfreich», sagt Corinna Schaefer vom Ärztlichen Zentrum für Qualit
ät
in der Medizin (ÄZQ). So könnten ständige Messungen und kleine
Abweichungen, die man sonst gar nicht bemerkt hätte, auch für
Beunruhigung beim Patienten sorgen, sagt Schaefer mit Blick
auf Gesundheitsapps für das Smartphone. «Bei den wenigen
unterstützenden Apps, zu denen man Studien gemacht hat, ist der
Nutzen meist nicht nachweisbar oder marginal.»

Auch um das Thema Datensicherheit kommt kein Hersteller herum. Beim
Sensor-Handschuh zur Epilepsie-Diagnostik etwa liefen noch Studien
zur klinischen Bewertung, auch belastbare Aussagen zur
Datensicherheit könnten erst später getroffen werden, sagt Urs-Vito
Albrecht von der Medizinischen Hochschule Hannover. Albrecht forscht
unter anderem über Chancen und Risiken von Gesundheits-Apps. Die
«üblichen Datensicherheitsrisiken» für Cloud-Dienste, wie etwa die

unerwünschte Auswertung durch Anbieter von Online-Speichern,
bestünden auch hier, sagt er.

Neu auf der Medica ist auch eine Ultraschall-App aus dem Google Play
Store, die als «Ultraschall to go» etwa in der Notfallmedizin an
Unfallorten zum Einsatz kommen soll. Die App wird auf dem Smartphone
oder Tablet gestartet und ein Schallkopf per USB-Kabel verbunden.
Solche Kombinationen aus App und Hardware sind laut Albrecht leicht,
oft günstiger und ermöglichen eine schnelle einordnende Diagnostik
vor Ort als klassische Diagnosehilfen. Die Sicherheit hänge vom
Hersteller ab.

Wie viele Stunden habe ich heute geschlafen? Habe ich einen gesunden
Blutdruck? Diese persönlichen Gesundheitsfragen soll künftig der
cloud-basierte Sprachdienst «Alexa» von Amazon beantworten können.
Zunehmend widmeten sich inzwischen fachfremde Akteure kommerziell dem
Thema digitale Gesundheit, sagt Albrecht. «Grundsätzlich wäre
gesellschaftlich zu diskutieren, wo denn hier die Grenzen gezogen
werden sollen.» Bei Fragen der Diagnostik und Therapie gelten laut
Albrecht andere Maßstäbe als für Fitness- und Wellness-Apps. «Die
Menschen haben in der Regel schon ein gutes Gespür dafür, mit welchem
Thema sie sich wem anvertrauen oder ausliefern.»

Für Franz Joseph Bartmann von der Bundesärztekammer haben manche
sensorischen Messsysteme - «ob in Handschuh, Schuh oder Unterhemden
integriert» - derzeit eher noch experimentellen Charakter, aber «für

die Versorgung noch keine unmittelbare Relevanz». Gesundheits-Apps
aber werden «erhebliche Auswirkungen auf das Verhältnis zwischen Arzt
und Patient» haben, sagt Bartmann.

Der Patient sei künftig «der Herr der Daten», die er dem Arzt zur
Verfügung stelle. Es gebe schon erste Vorhersagen, dass der
klassische Hausarzt «der erste sein könnte, der angesichts dieser
Entwicklungen seine Bedeutung verlieren wird». Für die ältere
Generation mit großer Krankheitslast mag der Gang zum Arzt noch eine
emotionale Komponente haben. «Die jungen Leute, die mit digitalen
Techniken groß geworden sind, entwickeln, bis es für sie soweit ist,
mit Sicherheit eine ganz andere Einstellung», glaubt Bartmann.

Das gilt im übrigen wohl auch für die Datensicherheit. Corinna
Schaefer sagt: «Ich glaube, dass die meisten Menschen schon jedes
Gefühl für die Privatheit von Daten verloren haben.» Für Schaefer i
st
wichtig: «Bei medizinischen Interventionen sollte der Arzt den
Patienten auch gesehen haben und nicht nur den Computer, der
Algorithmen rechnet.»