Wenn Lastwagen zur tödlichen Gefahr werden - Prozess in Kassel Von Christian Kretschmer und Sascha Hoffmann, dpa

Drei Menschen sterben, als bei Kassel ein Lastwagen in ein Stauende
rast. Von einem Wohnmobil bleibt nur ein Trümmerhaufen übrig. Nicht
immer enden Lkw-Unfälle derart schlimm - fehlender Abstand ist aber
eine viel zu häufige Ursache.

Kassel/Frankfurt/Main (dpa) - Als sich der Verkehr auf der Autobahn 7
südlich von Kassel staut, bleibt auch das Wohnmobil einer Familie aus
Niedersachsen stehen. Wenige Augenblicke später kracht nahezu
ungebremst ein Lastwagen von hinten in das Fahrzeug. Die Wucht ist
groß, die Autobahn gleicht einem Trümmerfeld. Vater, Mutter und
Tochter, die in dem Wohnmobil unterwegs waren, sterben bei dem Unfall
am 12. Juli 2016.

Rund 16 Monate später steht der Lastwagenfahrer aus Tschechien wegen
fahrlässiger Tötung vor dem Amtsgericht Kassel. Der 51-Jährige kann
sich am Donnerstag nicht mehr an den Unfall erinnern. Er war selbst
schwer verletzt und wochenlang im Krankenhaus behandelt worden.

«Er war in der Fahrerkabine seines Lastwagens eingeklemmt, seine
Bergung durch die Feuerwehr hat über eine Stunde gedauert», berichtet
Verteidiger Marcus Mauermann. Sein Mandant spricht von einer
Tragödie, die ihn bis heute sehr belaste. Und er entschuldigt sich.
Später weint er im Gerichtssaal, als ein Mediziner zu den
Verletzungen der Opfer aussagt.

Die Staatsanwaltschaft vermutet Unachtsamkeit als Ursache. Ein
medizinischer Gutachter soll nun noch klären, ob der Angeklagte
möglicherweise wegen einer Herzerkrankung zum Zeitpunkt des Unfalls
nicht reagieren konnte - fünf Monate vor dem Unfall hatte der Mann
einen Infarkt erlitten. Der Prozess wird am 21. November fortgesetzt.

Nicht immer gehen Unfälle mit tonnenschweren Lastwagen derart schlimm
aus. Generell gilt aber: Kann ein Lkw nicht mehr rechtzeitig bremsen,
wird es gefährlich. Auffahrende Lastwagen machen ein Fünftel aller
schweren Lkw-Unfälle aus und sind für 30 Prozent der dabei Getöteten

verantwortlich - zu diesem Ergebnis kam die Unfallforschung der
Versicherer.

Die Ursachen für Lkw-Unfälle sind vielfältig, wie ein Blick in die
hessische Verkehrsstatistik für 2016 zeigt: zu hohe Geschwindigkeit,
unvorsichtiges Wenden - vor allem zu geringer Abstand. Insgesamt
wurden deswegen 1883 Unfälle mit Lastwagen in Hessen gezählt, ein
Zuwachs von fünf Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Ein Grund für
drängelnde Laster sei der Druck, die Ware rechtzeitig abzuliefern,
berichtet Torsten Werner vom Polizeipräsidium Nordhessen: «Zeit ist
Geld, das macht sich auf der Straße bemerkbar.»

Der Lkw-Fahrer wird so zum Risikofaktor. Übermüdung werde häufig in
Kauf genommen, Kontrollsysteme für Ruhezeiten würden «ausgeschaltet,

ignoriert oder manipuliert», sagt Werner. Manche Fahrer machten sich
an der Technik zu schaffen; andere hätten zwei Fahrerkarten, auf
denen Lenk- und Ruhezeiten gespeichert werden. Sie könnten so die
Polizei bei Überprüfungen täuschen.

Womöglich hätte ein Notbremsassistent einen Unfall wie auf der A7
verhindert. Allerdings können die Geräte auch ausgeschaltet werden.
Sie seien meist mit dem Abstandsmesser des Lkw gekoppelt, erklärt der
Geschäftsführer des Fachverbands Güterverkehr und Logistik Hessen,
Klaus Poppe. Viele Lkw-Fahrer schalteten dieses Sicherheitssystem
komplett aus, wenn der Abstand zum Vordermann zu gering werde -
beispielsweise bei Überholmanövern oder in Baustellenbereichen.

Dem ADAC ist das ein Dorn im Auge. Er fordert Notbremsassistenten,
die der Fahrer nicht manuell ausschalten kann. «Wenn überhaupt, dann
nur für kurze Zeit und mit automatischer Wiedereinschaltung», teilt
der Automobilclub mit. Ein optimaler Notbremsassistent hätte laut
Unfallforschung der Versicherer in etwa 80 Prozent der
Lkw-Auffahrunfälle dessen Folgen deutlich verringert - oder das
Unglück ganz verhindert.