Ex-Chefarzt vor Gericht: Vergewaltigung oder Komplott? Von Kathrin Zeilmann, dpa

Schon wieder steht ein Ex-Chefarzt wegen eines Sexualdelikts vor
Gericht. Es ist einer der ersten großen Fälle, bei dem das Prinzip
«Nein heißt Nein» angewendet wird.

Bamberg (dpa) - Ein Vergewaltigungsprozess gegen einen ehemaligen
Chefarzt hat vor dem Landgericht Bamberg begonnen. Die
Staatsanwaltschaft wirft dem 46-Jährigen vor, eine ihm unterstellte
Mitarbeiterin am Arbeitsplatz zu einer sexuellen Handlung gezwungen
zu haben. Juristisch wertet sie das aufgrund der Verschärfung des
Sexualstrafrechts als Vergewaltigung. Deshalb beobachten Experten
diesen Fall genau. Der Verteidiger des Arztes sagte am Mittwoch, es
gebe noch kaum Kommentare oder Urteile in diesem Bereich.

Was passierte im Dezember vor einem Jahr in einer Ambulanz in
Neustadt an der Aisch, die das Klinikum Bamberg betreut? Die
Staatsanwaltschaft sieht es so: Der Angeklagte habe der Mitarbeiterin
gesagt, er wolle sie wegen einer Abrechnung unter vier Augen sprechen
und sie solle ihn in die Küche begleiten. Sie habe als ihm
unterstellte Kraft gar keine andere Wahl gehabt. In der Küche habe er
sie zu Oralsex gezwungen, obwohl sie deutlich gemacht hatte, dass sie
das nicht gewollt habe. Sie hätte aber sonst Angst vor beruflichen
Nachteilen haben müssen.

Zwischen dem mutmaßlichen Opfer und dem Angeklagten habe es schon
früher sexuelle Kontakte gegeben - allerdings einvernehmlich. Auch
mit anderen Mitarbeiterinnen soll es zu intimen Kontakten gekommen
sein.

Zum Prozessauftakt am Mittwoch verlas der Anwalt eine Erklärung des
Angeklagten. Darin betonte er, dass es an jenem Tag in Neustadt an
der Aisch zu einer einvernehmlichen sexuellen Handlung gekommen sei.
Die jetzige Anklage sei ein Komplott von Mitarbeiterinnen, mit denen
er sexuellen Kontakt gehabt habe.

In Bamberg ist es binnen kurzer Zeit bereits der zweite frühere
Chefarzt, der vor Gericht steht. Vor rund einem Jahr war ein ehemals
leitender Mediziner wegen schwerer Vergewaltigung und weiterer
Vergehen verurteilt worden. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass
der Arzt zwölf Frauen - darunter Patientinnen - betäubt und damit
willenlos gemacht hatte. Er selbst hatte stets seine Unschuld
beteuert. Sowohl Staatsanwaltschaft als auch Verteidigung gingen in
Revision, eine Entscheidung dazu steht noch aus.

Das Klinikum Bamberg lehnte eine Stellungnahme zum aktuellen Fall ab.
Der ehemalige Chefarzt wurde wegen arbeitsrechtlichen Fehlverhaltens
freigestellt. Er reichte seine Kündigung. Mitte Januar erging gegen
den nun Angeklagten Haftbefehl, im Februar kam er aber aus der
Untersuchungshaft.

Der Prozess nun steht besonders im Fokus, weil der Mediziner nach dem
im Vorjahr verschärften Sexualstrafrecht («Nein heißt
Nein!») angeklagt ist: Demnach macht sich nicht nur strafbar, wer Sex

mit Gewalt oder Gewaltandrohung erzwingt. Es reicht vielmehr aus,
wenn sich der Täter über den «erkennbaren Willen» des Opfers
hinwegsetzt. Die Verhandlung wird am Donnerstag fortgesetzt.