Freispruch für Arzt im Hamburger Sterbehilfe-Prozess Von Almut Kipp, dpa

Sterbehilfe oder freier Wille der Opfer? Um diese Frage geht es in
einem Hamburger Prozess. Zwei Frauen starben 2012, weil sie den
Sterbewunsch hatten - so sahen es die Richter. Der angeklagte Arzt
wird freigesprochen.

Hamburg (dpa/lno) - Nach fünfjähriger Verfahrensdauer ist ein 75
Jahre alter Arzt in einem Sterbehilfe-Prozess in Hamburg
freigesprochen worden. Dem Mediziner war versuchte Tötung auf
Verlangen durch Unterlassen vorgeworfen worden, nachdem in seinem
Beisein 2012 zwei über 80 Jahre alte Frauen nach der Einnahme
todbringender Medikamente gestorben waren. Die Staatsanwaltschaft sah
einen Fall von Totschlag und verlangte sieben Jahre Haft, die
Verteidigung plädierte auf Freispruch.

Die Entscheidung der Frauen, aus dem Leben scheiden zu wollen, sei
von ihnen bewusst getroffen worden, sagte der Vorsitzende Richter des
Hamburger Landgerichts am Mittwoch und sprach vom «ernsthaften
Willen, frei von Mängeln». Die Frauen hätten nicht zu unüberlegten

spontanen Entscheidungen geneigt. Ausschlaggebend für das Urteil
waren 2010 verfasste Patientenverfügungen der beiden, worin sie
lebensverlängernde Maßnahmen untersagten. «Und das ist bindend»,
sagte Richter Matthias Steinmann.

Die beiden wohlhabenden und alleinstehenden Frauen hatten über viele
Jahre zusammen in Hamburg gewohnt, wie das Gericht ausführte. Beide
hätten zunehmend altersbedingte Beschwerden gehabt, aber keine
lebensbedrohlichen Krankheiten. Sie seien aktiv gewesen, hätten am
Leben teilgenommen. Aber sie hätten Angst vor Pflegebedürftigkeit
gehabt und wie sie diese meistern könnten, berichtete der Vorsitzende
des Gerichts.

Schon im Jahr 2010 hätten sich die Seniorinnen Gedanken über den Tod
und seine Folgen gemacht, wenn nur eine stürbe. Patientenverfügungen
wurden verfasst. Zwei Jahre später wurden sie Mitglied im Verein
Sterbehilfe Deutschland unter dem Vorsitz von Roger Kusch, ein
ehemaliger Hamburger Justizsenator. Der Kauf einer gemeinsamen
Grabstätte zwei Monate vor dem Tod sei - im Gesamtzusammenhang - als
Teil eines Planes der Frauen zu sehen, zeitnah aus dem Leben scheiden
zu wollen, führte das Gericht aus.

Der Verein vermittelte den Arzt, Kusch selbst war aber nicht
angeklagt. Der Mediziner dokumentierte am 10. November 2012 den
Sterbeprozess der beiden Frauen, anschließend informierte er die
Rettungskräfte. Der Angeklagte hatte bestritten, die todbringenden
Medikamente mitgebracht zu haben. Wie die Frauen an sie kamen, blieb
für das Gericht unklar. Es hält die Beschaffung durch den Verein für

naheliegend. Einen Verstoß gegen das Betäubungsmittelgesetz habe es
jedoch nicht gegeben.

Die Medikamentenpackungen sowie Dokumente, Erklärungen der
Seniorinnen und deren Personalausweise waren auf einem Tisch in deren
Wohnung zurechtgelegt. «Wenn die Kräfte nachlassen, ist es Zeit zu
gehen», zitierte der Richter aus einem Abschiedsbrief, der an
Verwandte in Leipzig so spät abgeschickt worden sei, dass sie den Tod
der Frauen nicht mehr hätten verhindern können. Aus den Dokumenten
sei jedoch hervorgegangen, dass die Frauen Rettungsmaßnahmen und eine
Wiederbelebung ausdrücklich untersagt hatten, erläuterte der Richter.
Ihre Rettung wäre tatsächlich unwahrscheinlich gewesen.

Nach Auffassung der Staatsanwaltschaft sollen die beiden Frauen
jedoch nicht ganz sicher gewesen sein, dass sie sterben wollten und
haderten. Niemand scheide ohne Emotionen aus dem Leben, entgegnete
hierzu das Gericht. Die Frauen hätten ihr Ableben akribisch geplant.
«Das war ein Entscheidungsprozess über Jahre hinweg».

Der freigesprochene Arzt zeigte sich froh darüber, dass das Gericht
sein Urteil so ausführlich begründet habe. Mit seinem Freispruch habe
er gerechnet. Der Vorsitzende Richter sagte zu dem langen Verfahren:
«Es geht um existenzielle Fragen zu Leben und Sterben. Daher ist es
wichtig, sich damit abwägend auseinanderzusetzen.» Um die Zulassung
der Anklage gab es ein jahrelanges Ringen zwischen Staatsanwaltschaft
und Gerichten.

Die Deutsche Stiftung Patientenschutz verwies auf den erst seit zwei
Jahren geltenden Sterbehilfe-Paragrafen 217 des Strafgesetzbuches.
Der Hamburger Freispruch für den Fall aus dem Jahr 2010 mache klar,
wie wichtig das Verbot der organisierten Suizidbeihilfe in
Deutschland ist, teilte Stiftungsvorstand Eugen Brysch am Mittwoch
mit. «Dieser Fall widerlegt die naive Vorstellung, dass die alte
Rechtslage ausreichend war.»