Hussein K. und der verräterische Eckzahn Von Jürgen Ruf, dpa

Wie alt ist Hussein K.? Im Prozess um den Sexualmord an einer
Studentin in Freiburg ist das Alter des Angeklagten entscheidend für
das Urteil. Der Flüchtling selbst schweigt. Dafür liefert ein
Souvenir des jungen Mannes Antworten.

Freiburg (dpa) - Hussein K. sitzt an diesem zehnten Verhandlungstag
auf der Anklagebank und schweigt. Nur wenige Meter von ihm entfernt
berichten Sachverständige, was sie herausgefunden haben. Im
Freiburger Prozess um den jungen Flüchtling, dem der Sexualmord an
einer Studentin zur Last gelegt wird, ist das Alter des Angeklagten
für ein Urteil entscheidend.

Nach einem ersten Gutachten ist sicher: Hussein K. ist, entgegen
seiner früheren Behauptung, kein Jugendlicher und auch kein
Heranwachsender mehr, er könnte Mitte 20 sein. Ein Zahn dient dabei
als wesentliches Beweismittel - ungewohntes Terrain in
Strafverfahren, und die juristischen Folgen können weitreichend sein.

Das Beweisstück mit der Nummer 14.2.2.2.25.48 soll am Dienstag vor
der Freiburger Kammer die Wahrheit ans Licht bringen. Es ist ein
Eckzahn des Angeklagten, der ihm von einem Zahnarzt bei einem
Routineeingriff gezogen worden war. Andere Zähne hatten ihn
überlagert, deshalb wurde der Zahn Nummer 13 mit der Wurzel
herausgeholt. Hussein K. behielt ihn als Souvenir. Er bewahrte ihn in
seinem Zimmer auf. Dort fanden ihn Polizeibeamte, als sie nach der
Festnahme des Flüchtlings alles durchsuchten.

K. steht seit zwei Monaten vor Gericht. Er hat zugegeben, im Oktober
vergangenen Jahres in Freiburg die 19-Jährige vergewaltigt und bis
zur Bewusstlosigkeit gewürgt zu haben. Die Frau ertrank im Wasser des
Flusses Dreisam. Der Fall löste, noch vor dem Anschlag eines
Tunesiers auf den Berliner Weihnachtsmarkt Im Dezember, Debatten über
die deutsche Flüchtlingspolitik aus.

K. behauptete, zur Tatzeit 17 Jahre alt gewesen zu sein. Zum
Prozessauftakt gab er zu, älter zu sein, ein konkretes oder
belegbares Alter nannte er nicht. Für den Prozess spielt daher der
Zahn eine zentrale Rolle.

Denn es ist unklar, wie alt der vor der Jugendkammer stehende Hussein
K. wirklich ist. Er galt als unbegleiteter minderjähriger Flüchtling
und hatte keine Papiere, als er im November 2015 nach Deutschland
kam. Die Staatsanwaltschaft hält K. angesichts von insgesamt zwei
Altersgutachten für mindestens 22 Jahre alt. Die Ergebnisse der
Zahnuntersuchung gelten dabei als vergleichsweise sicher.

«So etwas haben wir selten in Strafverfahren, dass wir diese Methode
anwenden können», sagt die Wissenschaftlerin Ursula Wittwer-Backofen.
Denn Zähne dürfen nicht gezogen werden, wenn der Betroffene nicht
einverstanden ist. Das wäre Körperverletzung und illegal. Dass im
konkreten Fall ein bereits vorher gezogener Zahn gefunden wurde, war
Glück für die Ermittler.

Er liefert, sagt die 60 Jahre alte Anthropologin, klarere Ergebnisse
zur Altersdiagnostik als beispielsweise die weitaus häufiger
verwendete Röntgenuntersuchung der Handwurzelknochen. Denn an Zähnen
und deren Wurzel bilden sich, ähnlich wie bei Bäumen, sogenannte
Jahresringe, erklärt die Wissenschaftlerin. Durch sie lässt sich das
Alter errechnen. Wittwer-Backofen und ihre Kollegen an der Freiburger
Uni haben bei solchen Untersuchungen deutschlandweit eine
Führungsrolle. Meist hätten sie es, sagt die Gutachterin, mit
historischen Skeletten zu tun. Aktuelle Strafverfahren seien selten.

Unter dem Mikroskop haben sie Altersringe gezählt und rund 400 Fotos
von ihnen gemacht. Das Ergebnis der Untersuchungen: Hussein K. ist
laut Gutachten 25,8 Jahre alt. Rechne man alle Fehlerquellen und
wissenschaftliche Unsicherheiten mit ein, ergebe sich für den
Angeklagten eine Altersspanne von 22,5 bis 29,5 Jahre.

Folgt das Gericht dieser Einschätzung, würde für den Angeklagten
Erwachsenenstrafrecht gelten. Ihm droht dann eine lebenslange Haft,
möglicherweise Sicherungsverwahrung. Für Jugendliche und
Heranwachsende sind die Strafen geringer. Voraussetzung: Die
Verurteilten müssen dafür zur Tatzeit jünger als 22 Jahre sein.

Ein zweites, ebenfalls am Dienstag vorgestelltes Gutachten des
Rechtsmediziners Andreas Schmeling stützt die These der
Zahnuntersuchung. Auch demnach ist Hussein K. älter als 21 Jahre -
und würde damit juristisch als Erwachsener gelten.

Mit einem Urteil in dem Verfahren wird nach Angaben der Vorsitzenden
Richterin Kathrin Schenk im kommenden Jahr gerechnet. Bis dahin
sollen weitere Sachverständige und Zeugen gehört werden.