Ärger in der Unterwelt: Riesige «Fettberge» in London Von Fabian Wegener, dpa
Was darf eigentlich im Klo runtergespült werden - und was nicht? Den
Londonern wird das zurzeit auf die harte Art beigebracht: Monströse
Fettberge blockieren Teile des Abwassersystems.
London (dpa) - Während sich am frühen Vormittag ein süßlicher Ger
uch
aus den Küchen der vielen Restaurants in Londons Chinatown
ausbreitet, steckt Vincent Minney (57) bereits bis zur Hüfte in
breiiger, bestialisch stinkender Fäkalmasse. Rund vier Meter unter
der Erdoberfläche zwängt sich der Fachmann durch einen
Abwasserschacht und inspiziert den über 150 Jahre alten Tunnel, der
sich unter dem belebten, kulinarisch vielfältigen Viertel erstreckt.
Wenig später ist der erfahrene Kanalreiniger am Ziel seiner
olfaktorischen Odyssee: Hier, in einer Nebenstraße des bei Touristen
so beliebten Leicester Square, blockiert ein «Fatberg» die
Abwasserrohre. «Dieser hier ist zum Glück nur 50 Meter lang», erkl
ärt
der Profi, der bereits seit 27 Jahren für den privaten
Wasserversorger Thames Water das Abwassernetz der Millionenmetropole
instand hält.
Fettberge wie der in Chinatown sind zu einem großen Problem in der
britischen Hauptstadt geworden. Es sind große Klumpen aus gehärtetem
Kochfett, Damenbinden, Feuchttüchern und ähnlichen Gegenständen,
die
nicht wie Toilettenpapier zerfallen können. In der Folge vermengen
sie sich in den Rohren unter der Stadt zu betonharten Gebilden, die
dann unter größtem Aufwand Fachkräfte entfernen müssen.
Das Problem ist den Briten mittlerweile bestens bekannt; seit 2015
findet man den Begriff «Fatberg» sogar im offiziellen
Oxford-Wörterbuch. Doch selbst die krisenerprobten Londoner staunten,
als Vincents Team Anfang September den Fund eines
wahrhaften Monstrums im Stadtteil Whitechapel publik machte. Mit rund
250 Metern Länge und einem Gewicht von 130 Tonnen - was etwa
einem ausgewachsenen Blauwal entspricht - stellte dieser «Fatberg
»
alles bisher zutage geförderte in den Schatten.
Twitter-Nutzer tauften den Koloss in einer Online-Umfrage «Fatty
McFatberg» - und das British Museum verkündete kurzerhand, eine
n Teil
des Berges kaufen und ausstellen zu wollen. «Natürlich freuen wir uns
über solch ein mediales Echo. Schließlich hilft es auch bei der
Aufklärung der Bevölkerung», sagt Alex Saunders (27), zuständiger
Manager von Thames Waters. «Verstopfte Rohre wie dieses hier kosten
die Stadt monatlich rund eine Million Pfund», sagt der Experte,
während er aufmerksam durch die Fenster des kleinen Einsatzwagens
schaut, der vor dem Gully-Zugang in Chinatown parkt.
Doch warum sind die Fettberge gerade in London ein so großes
Problem? Könnten die Rohre selbst schuld an der Misere sein?
Schließlich ist das Abwassernetz über 150 Jahre alt. Damals war es
aus der Not heraus entstanden, weil sich immer mehr Haushalte
Toiletten mit Wasserspülung zulegten - und diese Abwasser in die
Themse spülten. Was folgte war der «Große Gestank 1858», eine
unerträgliche Geruchswelle, die Berichten nach sogar die Arbeit im
Parlament zeitweilig lahmlegte.
Es war Sir Joseph Bazalgette, ein visionärer Tiefbauingenieur, de
r
daraufhin das Abwassernetz installierte und London so nicht nur
vor dem Gestank, sondern auch vor der grassierenden
Cholera-Epidemie bewahrte. Sein System ist auch heute noch in
Betrieb. Trotzdem sind die Verstopfungen laut den Experten von Thames
Water nicht auf das Alter der Rohre zurückzuführen.
«Die unterirdischen Kanäle sind auch heute noch super in Schuss»,
betont Saunders. Das Problem sei eher das stetige
Bevölkerungswachstum und die immer «fettigeren Essensgewohnheiten»
der Großstädter. So sei es kein Zufall, dass die meisten Fettberge in
belebten, von Gastronomie durchzogenen Vierteln entdeckt werden. «Wir
essen heutzutage gerne viel und fettig - und im schlimmsten Fall
wischen wir uns danach den Hintern mit Feuchtpapier ab.»
Doch nicht nur in London stellt die unsachgemäße Entsorgung von
Abfällen in der Toilette ein Problem dar. «Solche Dimensionen kennen
wir hier nicht, aber auch in Deutschland setzen steigende Müllmengen
im Abwasser den Abwassersystemen zu», berichtet eine Sprecherin des
Verbands kommunaler Unternehmen (VKU). Immer wieder kommt es so zu
teuren Einsätzen, bei denen verstopfte Kanäle oder Pumpen
von Feuchttüchern, Wattestäbchen und anderen Hygieneartikeln befreit
werden müssen. Die Expertin mahnt: «Die Toilette ist kein Mülleimer!
»
Saunders und seine Kollegen hoffen, dass diese Botschaft irgendwann
auch bei den Londonern ankommt. Handlungsbedarf besteht vor allem in
der Gastronomieszene: Von 700 überprüften Restaurants verstoßen laut
Thames Water 92 Prozent gegen die Entsorgungsauflagen. Das bedeutet,
dass sie die Fettberge «füttern», weil sie keine Fettabscheider z
ur
Trennung der Öle und Fette vom Abwasser installiert haben.
Wiederholte Kontrollbesuche bleiben da auch in Zukunft unerlässlich.
Das so aufgefangene Fett könnte am Ende sogar noch einen guten Zweck
erfüllen. In einer eigens dafür gefertigten Anlage soll es künftig
in
Biodiesel umgewandelt werden. Aus dem «Monster von
Whitechapel» werden so 10 000 Liter umweltfreundlicher Kraftstoff.
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