Experten: Ein Stopp der Glyphosat-Zulassung böte Chancen und Risiken Von Annett Stein, dpa

Das düstere Szenario ist: Ohne weitere Glyphosat-Zulassung drohen ein
Preisanstieg bei Lebensmitteln und ein Umschwenken auf gefährlichere
Mittel. Doch auch Positives könnte folgen, sagen Experten -
vielleicht gar eine von Grund auf andere Landwirtschaft.

Berlin (dpa) - An diesem Mittwoch will ein Expertengremium der
EU-Länder erneut über die Verlängerung der Genehmigung für Glyphosa
t
um zehn Jahre beraten - und vielleicht auch abstimmen lassen. Die
derzeit gültige Zulassung läuft Mitte Dezember aus. Die Debatte um
das Herbizid wurde in den vergangenen Monaten immer emotionaler
geführt. Im Zentrum steht die Frage, ob das Mittel krebserregend ist
oder nicht.

Was würde tatsächlich passieren, dürfte Glyphosat in den 28
EU-Mitgliedsländern nicht mehr verwendet werden? «Beim
Unkrautmanagement wären erhebliche Anpassungen nötig», sagt
Horst-Henning Steinmann von der Universität Göttingen. «Man kennt das

ja aus dem Garten: Das Unkraut ist nie ganz weg, es kommt immer
wieder.»

Zunächst gäbe es bei einem Auslaufen der Glyphosat-Genehmigung eine
mehrmonatige Aufbrauchfrist, erklärt Silvia Pieper vom
Umweltbundesamt (UBA). Danach könnte das Pflügen eine ungeahnte
Renaissance erleben. «Die Stoppelfelder nach der Ernte zum Beispiel
könnte man einfach öfter mit Bodenbearbeitungsgeräten bearbeiten»,

sagt Steinmann, Projektleiter am Zentrum für Biodiversität und
nachhaltige Landnutzung. Kniffliger sei die Situation vor der
Aussaat. Derzeit werde häufig Glyphosat aufgebracht und der Boden nur
flach bearbeitet. «Das spart Geld, Zeit und Mitarbeiter», erklärt
Steinmann. «Ein positiver Nebeneffekt ist, dass die Erosionsgefahr
kleiner ist, wenn der Boden nur angekratzt wird.»

Extrem betroffen wären demnach Sonderkulturen wie der Weinanbau vor
allem in Steillagen. «Dort kann man kaum Geräte einsetzen und die
Bewirtschaftung würde deutlich teurer.» Viele andere Landwirte
wiederum würden den Verlust von Glyphosat gar nicht bemerken, nimmt
Steinmann an. «Nur diejenigen, die ihre komplette
Betriebsbewirtschaftung auf Glyphosat ausgerichtet haben, hätten
größere Probleme.» Wirklich gleichwertige Ersatzprodukte gebe es
nicht.

Glyphosat sei für die Produktion vieler Nutzpflanzen-Kulturen ein
wesentlicher Baustein, betont auch Thoralf Küchler, Sprecher der
Arbeitsgemeinschaft Glyphosat (AGG), einem Zusammenschluss von sieben
Glyphosat-produzierenden Unternehmen. «Wenn er fehlt, müssen
Landwirte auf andere Herbizide setzen.» Wegen der weniger breiten
Wirkung wären Mischungen nötig. «Damit steigen die benötigten Menge
n,
der Aufwand und der Preis.» Auch das vermehrte Pflügen bedeute höhere

Kosten etwa für Mitarbeiter und Maschinen. «Die Produktion sämtlicher

Kulturpflanzen würde teurer», sagt Küchler. «Gerste und Silomais

wären für Landwirte in der EU möglicherweise gar nicht mehr
rentabel.»

Der Göttinger Agrar-Experte Steinmann hingegen hält Preissteigerungen
bei einem Glyphosat-Stopp für sehr unwahrscheinlich. «Der Markt für
Agrarprodukte reagiert auf so etwas nicht.» Eher sei zu erwarten,
dass Lebensmittelhändler auf Glyphosat-freie Produktionsverfahren
drängen werden - und das ohne Preisänderungen erreichen wollen.

Generell biete ein Glyphosat-Stopp auch große Chancen, betont
Steinmann. Glyphosat sei ein Innovationskiller, und das seit
Jahrzehnten. «Gegen einen so billigen Standard anzukämpfen - da
konnte man nur scheitern.» Ein Auslaufen der Zulassung führe zu einer
aufgefrischten Suche nach Alternativen auch bei der nicht-chemischen
Unkrautkontrolle. «Es würde Bedarf, aber auch Raum und Nachfrage für

neue Ideen geben», ist Steinmann überzeugt.

Auch Pieper sieht Chancen: Die Diskussion um Glyphosat könne den
Start für einen ganz anders aufgestellten Agrarsektor bedeuten. Es
wäre wichtig zu entscheiden, welche Art von Landwirtschaft die
europäische Agrarpolitik weiter unterstützen will, erklärt die
UBA-Expertin. «Statt des Verbots einer einzelnen Substanz wäre eine
generelle Reduzierung des Herbizideinsatzes sinnvoll.»

Mit einem Glyphosat-Stopp allein nämlich wäre für Umwelt und Natur

nach Einschätzung der Experten noch nicht viel gewonnen.
Möglicherweise kämen dann einfach andere Substanzen auf die
Zulassungslisten, fürchtet Pieper. Glyphosat könne vielleicht nicht
leicht, aber doch durch andere Wirkstoffe ersetzt werden. 

«Deshalb ist ein schlichter Ersatz keine Lösung», betont sie. Auc
h
der Göttinger Agrar-Experte Steinmann sagt: «Glyphosat ist schon ein
modernes Herbizid, dessen Umweltwirkung vergleichsweise günstig zu
beurteilen ist. Würde es einfach nur durch ältere Wirkstoffe ersetzt,
wäre für die Umwelt nichts gewonnen.»