Weltstillwoche startet: Mütter zwischen Wunsch und Wirklichkeit Von Gisela Gross, dpa

Bestes Fast Food der Welt - das ist Muttermilch für Experten. Auch
unter Müttern hat sich das herumgesprochen. Trotzdem stillen viele
nicht allzu lang. Warum eigentlich?

Berlin (dpa) - Selig nuckelnde Babys. Stolz lächelnde Muttis. Weiches
Licht. Selfies stillender Mütter sind inzwischen in den sozialen
Medien an der Tagesordnung. Dort scheint es, als sei es für die
heutige Generation von Mamas das Normalste der Welt, die Brust zu
geben. Supermodels und Stars haben es vorgemacht, die privaten
Momente im Netz zu teilen. Sogar ein eigenes Stichwort ist dafür
entstanden: #Brelfie, ein Mix aus Selfie und Breastfeeding, wie
Stillen auf Englisch heißt. Aber stimmt der Eindruck aus dem Netz -
kommt tatsächlich seltener Milchpulver ins Fläschchen? 

Für Experten klafft zwischen Wunschvorstellung und Praxis beim
Stillen eine große Lücke. «Dass Stillen gut für Kinder ist, hat sic
h
herumgesprochen. Viele Frauen fangen mit dem Stillen an», sagt die
Stillbeauftragte des Deutschen Hebammenverbandes, Aleyd von Gartzen,
vor der Weltstillwoche (2. bis 8. Oktober). Dann kommt das große
Aber: Viele Mütter stillten oft nach wenigen Wochen ab, sagt von
Gartzen. Studien belegen dies, Erhebungen liegen teils aber längere
Zeit zurück.

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) dagegen empfiehlt, sechs Monate
ausschließlich zu stillen und danach bis zu einem Alter von zwei
Jahren Stillen und Beikost zu kombinieren. Wenn gewünscht, kann noch
länger gestillt werden. Muttermilch gilt heute als optimale Nahrung
für Säuglinge und als förderlich für die Bindung von Mutter und Kin
d.
Beide Seiten profitieren gesundheitlich: Beim Baby sinkt etwa das
Risiko für Infektionskrankheiten, Allergien und Asthma. Bei Müttern
kann Stillen das Risiko für Brust- und Eierstockkrebs reduzieren.

Als Grund für frühes Abstillen vermutet von Gartzen unrealistische
Vorstellungen vom Leben mit Baby und ein Gefühl der Überforderung vom
Stillen in der ersten anstrengenden Zeit. Aber es mangele auch an
Wissen zur Praxis des Stillens, bei den Frauen und in deren Umfeld.

Die Weichen für erfolgreiches Stillen werden bereits im Krankenhaus
nach der Geburt gestellt. Dort fehle aber zunehmend die richtige
Betreuung, sagt von Gartzen, die auch Mitglied der Nationalen
Stillkommission (NKS) ist, ein Gremium zur Förderung des Stillens.
Werde das Kind falsch angelegt, hätten die Mütter oft schon nach zwei
oder drei Tagen derartige Schmerzen durch lädierte Brustwarzen, dass
sie sich von guten Vorsätzen verabschiedeten. Und das, bevor der
Milchfluss überhaupt richtig in Gang gekommen sei.

Von Gartzen sieht eine große Verunsicherung: Frauen werde mit der
Vielzahl von Vorsorgeuntersuchungen und Kontrollen bereits in der
Schwangerschaft das Gefühl vermittelt, dass die Abläufe nicht von
alleine funktionieren. Der Glauben an sich selbst - und damit auch an
das intuitiv richtige Verhalten des Babys - werde jungen Müttern
genommen. Die Flasche zu geben und zum Beispiel genau zu wissen, wie
viel das Kind getrunken hat, suggeriert am Ende mehr Kontrolle.

Doch auch an den Mitmenschen dürfte das Stillen in der Praxis teils
scheitern. Laut einer kürzlich erschienenen Studie im Auftrag des
Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR) sind explizit negative
Reaktionen auf öffentliches Stillen zwar eher selten. Allerdings
stand jeder vierte Befragte dem Stillen im öffentlichen Raum
zwiespältig oder ablehnend gegenüber. Für jede Zehnte der befragten
Mütter, die bereits abgestillt hatten, sei die ablehnende Haltung in
der Öffentlichkeit ein Grund für das Abstillen gewesen, hieß es.

Gerade in Restaurants und Cafés kann Stillen als unangebracht
empfunden werden, wie vor gut einem Jahr auch ein Fall aus Berlin
zeigte. Eine junge Mutter geriet mit einem Café-Besitzer aneinander
und startete daraufhin eine Petition für einen gesetzlichen Schutz
des Stillens in der Öffentlichkeit. Das Thema wurde zwar breit
diskutiert, ihre Forderung blieb am Ende aber folgenlos.

Die Nationale Stillkommission, die ihren Sitz am BfR hat, will Frauen
darin bestärken, in der Öffentlichkeit zu stillen. In einer
Stellungnahme spricht sie sich für einen klaren Appell an die
Bevölkerung und an Mütter aus: Stillen sei gesund, könne nicht wart
en
- egal unter welchen Umständen.

Fotos von stillenden Promis sind womöglich ein Schritt in die
richtige Richtung. Sie könnten eine breite Vorbildfunktion haben,
glaubt Expertin Aleyd von Gartzen. Ob Mütter heute mehr und über
einen längeren Zeitraum stillen als noch vor 20 Jahren - und aus
welchen Gründen -, das wollen Forscher nun in Erfahrung bringen.
Befragt werden sollen in einer Studie im Auftrag der Deutschen
Gesellschaft für Ernährung (DGE) Mütter, aber auch Hebammen, Ärzte

und Pflegepersonal. Ergebnisse werden 2020 erwartet.