Immuntherapie: Vom Neuling zum Standard in wenigen Jahren Von Doreen Fiedler, dpa

Die Idee, Krebszellen mit Hilfe des eigenen Immunsystems zu
bekämpfen, ist mehr als 100 Jahre alt. Doch erst vor wenigen Jahren
gelang der Durchbruch. Dann ging alles ganz schnell.

Mainz (dpa) - Ärzte können Krebs mit Operationen, Chemotherapie und
Bestrahlung direkt bekämpfen. Doch es gibt eine weitere Methode,
hinter der ein etwas anderer Ansatz steckt. Dabei wird das
körpereigene Immunsystem dazu gebracht, selbst gegen Krebszellen
vorzugehen. Vor wenigen Jahren noch wurde diese Immuntherapie als
«aufregender neuer Weg in der Krebsbehandlung» und «die Zukunft»
gefeiert. Das habe sich bestätigt, sagt Stephan Grabbe, Leiter des am

Donnerstag (21.9.) beginnenden Deutschen Hautkrebskongresses. «Beim
Schwarzen Hautkrebs ist es eine der Standardtherapien geworden.»

Bei dem dreitägigen Kongress in Mainz sollen «neue Meilensteine in
der Immuntherapie» präsentiert werden. Schon jetzt sei sie beim
Schwarzen Hautkrebs von den Effekten und der Verträglichkeit her der
Chemotherapie weit überlegen, sagt Grabbe, der Direktor der
Hautklinik und Poliklinik der Universitätsmedizin der Johannes
Gutenberg-Universität Mainz ist. Auch bei Lungenkrebs und anderen
Hautkrebsarten sei die Forschung vielversprechend, etwa bei hellem
Hautkrebs und dem Merkelzellkarzinom. In der Onkologie - der
Wissenschaft, die sich mit Krebs befasst - sei die Immuntherapie
«einer der Megatrends».

Generell kann die Immunabwehr des Körpers Krebszellen von gesunden
Zellen unterscheiden. Es geht dann zum Angriff über. Das System wirkt
jedoch oft zu ineffizient und attackiert die aus dem Ruder gelaufenen
Zellen nicht entschieden genug, um einen Tumor tatsächlich wieder
verschwinden zu lassen. Forscher versuchen bei der Immuntherapie
deshalb, die körpereigene Abwehr im Kampf gegen Tumore deutlich zu
verstärken.

Am weitesten entwickelt ist die sogenannte
Checkpoint-Inhibitor-Therapie. Sie basiert darauf, dass sogenannte
T-Zellen des Immunsystems Tumore gewöhnlich nur kurz angreifen, bevor
sich die Reaktion wieder abschwächt. Ein Grund für diese
Immuntoleranz sind molekulare Bremsen auf den T-Zellen - die
sogenannten Checkpoints. Diese sollen eigentlich eine überbordende
Immunreaktion verhindern, kommen aber auch Tumoren zugute. Nun gibt
es Verfahren, die diese Brems- und Kontrollproteine auf den T-Zellen
blockieren - damit ist die Bremse gelöst. 

2011 wurde das erste Immuntherapeutikum zugelassen, 2015 folgten zwei
weitere. Seit dem vergangenen Jahr würden sie auch kombiniert - «mit
einer Zunahme an Effektivität», sagt Grabbe. Mittlerweile werde
an Dutzenden von Molekülen geforscht, welche die Immunabwehr des
Körpers gegen den Krebs richteten.

Der Schwarze Hautkrebs, auch malignes Melanom genannt, geht meist auf
eine intensive Einwirkung von Sonnenlicht zurück. «Das Melanom ist
die Tumorart mit den meisten Mutationen in den Tumorzellen», erklärt
Jochen Utikal, Leiter der klinischen Kooperationseinheit
Dermato-Onkologie am Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) und an
der Universitätsmedizin Mannheim. Deswegen ist das Melanom besonders

geeignet für die Immuntherapie: Das Immunsystem erkennt einen Tumor
mit vielen Mutationen besser als einen mit wenigen.

Die Therapie erfolgt über Antikörper. Das heißt, alle zwei oder drei

Wochen wird ein Wirkstoff ambulant als Infusion verabreicht. Das
funktioniert aber nicht immer. «Eine langfristige Tumorkontrolle kann
bei etwa der Hälfte der Patienten erreicht werden», sagt Grabbe. Und

das Verfahren ist keineswegs frei von Risiken. Denn ist die
körpereigene Abwehr entfesselt, kann sie sich auch gegen gesundes
Gewebe und Organe richten. «Das ist momentan ein großes Problem bei
der Immuntherapie», meint Grabbe. Ziel müsse es nun sein, nur noch
den Teil des Immunsystems zu stimulieren, der den Tumor erkenne.

Unter anderem in Mainz wird derzeit an der personalisierten
Immuntherapie geforscht. Hierbei wird für jeden Patienten ein
individuelles Mittel hergestellt, das auf die jeweiligen Mutationen
im Erbgut des Tumors passt. Zuvor sei lediglich auf bestimmte,
bereits bekannte Marker gesetzt worden, erklärt Grabbe. Jüngst wurden
dazu mehrere wissenschaftliche Artikel veröffentlicht - wobei sich
die bei den Studien eingesetzten Mittel als vielversprechend und gut
verträglich erwiesen.

Gerade die Kombination aus gezielter und ungezielter Immuntherapie
sei besonders wirksam und besonders verträglich. «Prinzipiell kann
man das bei jedem Tumorpatienten machen, egal um was für einen Tumor
es sich handelt», sagt Grabbe. «Nun müssen wir schauen, ob die
Therapie wirklich so gut wirkt, wie wir uns das erhoffen.»