Mit Alzheimer ins Krankenhaus: «Der denkbar schlechteste Ort» Von Sandra Trauner, dpa

Wie viele Alzheimer-Patienten kommen pro Jahr ins Krankenhaus? Knapp
20 000 sagt die Statistik. In Wahrheit sind es 50 Mal so viele,
behaupten Experten. Klar ist: Die Zahlen steigen. Sozialverbände
halten die Kliniken schon heute für überfordert.

Wiesbaden (dpa) - Fast doppelt so viele Patienten wie vor 15 Jahren
werden wegen Alzheimer im Krankenhaus behandelt. Das hat das
Statistische Bundesamt anlässlich des Welt-Alzheimer-Tages am
Donnerstag (21. September) ausgerechnet: 19 049 waren es im Jahr
2015. «Damit ist die Zahl der stationär behandelten Fälle in den
letzten 15 Jahren insgesamt um 85 Prozent angestiegen», berichtete
Destatis-Mitarbeiter Torsten Schelhase am Dienstag.

Winfried Teschauer, Vorstandsmitglied der Deutschen
Alzheimer-Gesellschaft, findet die Zahl «irreführend». In Wahrheit
würden «mindestens 50 Mal so viele» Patienten mit Demenz in Kliniken

aufgenommen. Er beruft sich auf eine Studie der Robert Bosch
Stiftung. Der Grund für die Abweichung zu den Zahlen der Statistiker
liege in der Diagnose, die das Krankenhaus für die Abrechnung mit den
Kassen eintrage.

Nur selten sei die Demenz selbst die Hauptdiagnose, meist seien es
deren Folgen. «Oberschenkelhalsbruch nach einem Sturz ist der
Klassiker», sagt Teschauer. Aber auch «alle anderen Krankheiten, die
alte Menschen so haben», von der Lungenentzündung bis zu
Herzproblemen, könnten Grund für einen Krankenhausaufenthalt sein.
Eingetragen - und danach von der Statistik erfasst - würde aber nur
«die erlös-relevante Diagnose», sagt Teschauer. «Dass der Patient

darüber hinaus auch dement ist, wird nicht eingetragen und oft auch
nicht weiter beachtet.»

Genau das sieht der Neurobiologe als Problem. Demente Patienten
zeigten im Krankenhaus noch stärker als in ihrer gewohnten Umgebung
«herausfordernde Verhaltensweisen».

Solche Verhaltensweisen seien oft auch der Grund, wenn Patienten mit
der Hauptdiagnose Alzheimer ins Krankenhaus kämen: Angehörige oder
Pflegekräfte im Heim wüssten sich nicht mehr zu helfen und brächten
Patienten «aus Hilflosigkeit» ins Krankenhaus. Dabei sei eine Klinik
«der denkbar schlechteste Ort». Geistig gehe es den meisten nach
einem Klinikaufenthalt schlechter als zuvor.

Oft werde das Krankenhaus für Demenzkranke «zum gefährlichen Ort»,

glaubt auch Eugen Brysch, Vorsitzender der Deutschen Stiftung
Patientenschutz. «Denn die fremde Umgebung, fehlende Bezugspersonen,
Hektik und mangelnde Kommunikation fördern Angstzustände der
Betroffenen. Doch geschultes Pflegepersonal für Demenzkranke in der
Klinik fehlt.»

Auch der Sozialverband VdK kritisiert, die Krankenhäuser seien oft
nicht auf den Umgang mit Menschen mit Alzheimer vorbereitet. «Es
fehlt in Krankenhäusern an einer demenzsensibilisierten Versorgung,
an geriatrisch geschultem Personal wie an Personal überhaupt», sagte
VdK-Präsidentin Ulrike Mascher. Außerdem müsse mehr geforscht werden,

damit Demenz früher erkannt und die Folgen verlangsamt werden können.

Klar ist: So lange Alzheimer nicht heilbar ist, wird das Problem
größer. «Die Häufigkeit von Demenzerkrankungen nimmt mit dem
Lebensalter zu», erklärt die Deutsche Alzheimer-Gesellschaft. Aktuell
sind in Deutschland etwa 1,6 Millionen Menschen von einer
Demenzerkrankung betroffen. «Die meisten sind 85 Jahre und älter.»

Dass mehr Alzheimer-Patienten ins Krankenhaus kommen, liegt also vor
allem daran, dass es immer mehr Hochbetagte gibt. Aus Tabellen des
Statistischen Bundesamtes geht hervor, dass sich die Zahl der über
85-Jährigen in den vergangenen 15 Jahren weit mehr als verdoppelt hat
(plus 144 Prozent).