Digitalisierung - Was auf die nächste Bundesregierung zukommt Von den dpa-Korrespondenten

Produzieren, lernen, arbeiten in der Ära digital - die großen
technischen und gesellschaftlichen Umwälzungen durch Digitalisierung
haben längst begonnen. Wie wappnet sich die Politik dafür?

Berlin (dpa) - Die enorme Bedeutung der Digitalisierung und die damit
einhergehenden Umwälzungen in der Gesellschaft treiben auch die
Politik um. «Wir wollen nicht im Technikmuseum enden mit
Deutschland», sagte kürzlich Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU).
Dass die Digitalisierung massive Relevanz hat - darin sind sich die
Parteien einig. Wie die Politik die vielfältigen Veränderungen
optimal begleiten und steuern sollte, ist jedoch strittig. Wie auch
immer sich die künftige Bundesregierung nach der Wahl in Sachen
Netzpolitik aufstellen wird, Fakt ist: Zahlreiche Lebens- und
Arbeitsbereiche sind betroffen - einige der wichtigsten Punkte:

INTERNET-MINISTER: Für eine Bündelung der bisher auf mehrere
Ministerien verteilten Kompetenzen in einem Digitalministerium
plädieren etwa Netzpolitiker von CSU, SPD, Grüne und FDP. Ein eigenes
Internet-Ministerium fordert gar der Internet-Verband eco. Das werde
aber nicht funktionieren, weil es in allen Sachgebieten
entsprechendes Know-how geben müsse, schätzt Wirtschaftsministerin
Brigitte Zypries (SPD). Derweil verfolgt die Union konkrete Pläne,
dafür einen Stabschef direkt im Kanzleramt zu schaffen. «Wir sind
überzeugt, dass die Digitalisierung Chefsache ist», sagte
Kanzleramts-Chef Peter Altmaier (CDU).

INDUSTRIE 4.0: Die Digitalisierung und Vernetzung der industriellen
Produktion ist zu einem der großen Themen geworden, die kräftiges
Wachstum verspricht. Dabei geht es nicht nur um intelligente Roboter
als künftige Arbeitskollegen, sondern um die Vernetzung aller Dinge
und Komponenten in einer Werkhalle. Der Begriff ist in Deutschland
geprägt worden, hat sich aber zu einem international genutzten
Terminus entwickelt. In mittelständischen Fertigungsunternehmen
werden hierzulande die größten Potenziale gesehen. Ganz neue
Geschäftsfelder und Services sollen mit der digitalen Vernetzung
entstehen. Und klar ist: Wer sich der Digitalisierung entzieht, wird
bald abgehängt.

ARBEITEN 4.0: Verdi-Chef Frank Bsirske sieht die Gefahr massenhafter
Arbeitslosigkeit durch Roboterisierung ganzer Berufe. Chancen
für Unternehmen und Arbeitnehmer stehen hingegen für den
Arbeitgeberverband BDA im Vordergrund. Viele Arbeitnehmer merken
schon heute: Ständige Erreichbarkeit durch digitale Geräte und
ständiger Druck zur Anpassung an neue Technik erzeugen Stress.
Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) will den Tarifpartnern
trotz fester Regeln zur Arbeitszeit mehr Flexibilität geben, so dass
sie Beschäftigten etwa abendliches Homeoffice nach einigen Büro- und
Kinderbetreuungsstunden ermöglichen können. Und sie will mehr
Weiterbildung etwa für Arbeitslose, aber auch über persönliche
Erwerbstätigenkonten für alle, mit denen man etwa Qualifizierung
finanzieren kann.

DATENSCHUTZ: «Daten sind der Rohstoff der Zukunft», schreibt die CDU
in ihrem Wahlprogramm. Doch wie kann man das wirtschaftliche
Potenzial von Big Data ausschöpfen und gleichzeitig den Menschen ein
Recht auf Privatsphäre garantieren? Was ist mit einem Anspruch auf
kostenfreie Auskunft, Korrektur und Löschung von Daten? Wie können
Daten-Giganten wie Facebook oder Google besser in die Pflicht
genommen werden, die ihre Konzernsitze außerhalb Europas haben? All
diese Themen werden die künftige Regierung beschäftigen. Und neue
Technologien wie die künstliche Intelligenz oder das autonome Fahren
werfen immer neue rechtliche und ethische Fragen auf.

STEUERN: Die Besteuerung der digitalen Wirtschaft ist unter großen
Industrienationen heiß umstritten. Einzelhändler nehmen weltweit
Online-Bestellungen an, sie erheben und analysieren aber auch Daten
ihrer Kunden als wertvolle Ware - beim E-Commerce, Online-Zahlungen,
App-Stores, Online-Werbung oder Cloud Computing. Es geht darum, dass
Internetkonzerne auch dort Steuern zahlen, wo sie massenhaft Daten
beziehen und damit Geschäfte machen. Sie erzielen einen Großteil
ihrer Gewinne über solche immateriellen Werte. Es gibt auch die
Debatte über eine «Robotersteuer»: Also eine Abgabe, um Unternehmen
mit vielen Robotern, Computern und Maschinen und wenigen
Arbeitnehmern und damit geringen Sozialbeiträgen höher zu belasten
als Unternehmen mit vielen Arbeitnehmern und wenigen Maschinen.

FINANZDIENSTLEISTUNGEN: Mit Hilfe neuer digitaler Verfahren und
Geschäftsmodelle will die Finanzindustrie die Produktivität steigern
und Transaktionskosten senken. Es ergeben sich aber auch neue Risiken
für die Finanzstabilität weltweit - etwa über virtuelle Währungen
oder den Hochgeschwindigkeitshandel an Börsen. Durch den Einsatz von
Software oder Robotern können bei traditionellen Banken aus Sicht von
Experten Arbeitsplätze gefährdet sein.

BÜRGERPORTAL: Angestrebt wird ein bundesweiter Portalverbund, damit
Bürger und Unternehmen per Internet auf Leistungen der Verwaltung
zugreifen können. Bestehende Verwaltungsportale in Bund, Ländern und
Kommunen sollen zu einem «virtuellen Portal» verknüpft und damit die

«digitale Zersplitterung» überwunden werden. Bürger und Unternehmen

sollen sich über individuelle Servicekonten anmelden können. «Alle
rechtlich und tatsächlich geeigneten Verwaltungsleistungen» sollen
innerhalb von fünf Jahren online angeboten und über den Portalverbund
zugänglich sein.

BILDUNG UND GESUNDHEIT: Digitale Technik und sinnvolle Lehrkonzepte
für die digitale Ära - das sehen Experten als essenziell für
Deutschlands Schulen an. Auch Bund und Länder haben hier schon
weitgehende Ankündigungen gemacht. Und im Gesundheitswesen reicht der
Einfluss digitaler Technik von der Telemedizin, bei der Patienten in
bestimmten Fällen auch zuhause ärztlichen Rat einholen können, bis
hin zur geplanten Vernetzung der Krankenhäuser, Arztpraxen und der 70
Millionen gesetzlich Versicherten.