«Einfach gleichgültig» - Bankkunden kümmerten sich nicht um Hilflos en Von Helge Toben, dpa

Ein Rentner bricht in einer Bank zusammen, Kunden steigen über den am
Boden liegenden Mann hinweg, ohne zu helfen. Der 83-Jährige stirbt
später. Zwei Männer und eine Frau müssen nun Geldstrafen zahlen. Der

Richter wählt bei der Urteilsverkündung drastische Worte.

Essen (dpa) - Mucksmäuschenstill ist es im Gerichtssaal, als die
Videos der Überwachungskameras aus einer Essener Bank gezeigt werden.
Zu sehen ist ein alter Mann mit roter Kappe, der seine Bankgeschäfte
erledigt und dann plötzlich zusammenbricht, drei Mal insgesamt. Jedes
Mal schlägt er mit dem Kopf auf - an eine Kante, auf den Boden. Dann
bleibt der 83-Jährige mitten in dem Foyer liegen, bewegt sich aber
noch. Nach und nach steigen vier Bankkunden über den Rentner oder
machen einen Bogen um ihn, ohne zu helfen. Erst der fünfte setzt
einen Notruf ab. Der Mann stirbt eine Woche später im Krankenhaus.

Wegen unterlassener Hilfeleistung werden am Montag drei Kunden vom
Amtsgericht Essen-Borbeck zu Geldstrafen verurteilt - unweit jener
Bankfiliale. In der Verhandlung sind die zwei Männer und eine Frau
geständig und sagen, dass es ihnen leid tue. Sie geben an, den
83-Jährigen für einen schlafenden Obdachlosen gehalten zu haben.

Einer der Angeklagten, ein 55 Jahre alter Servicetechniker aus
Oberhausen, gibt an, wegen der Erkrankungen seiner Eltern «neben der
Spur» gewesen zu sein. Die 39 Jahre alte Beschuldigte aus Essen, die
zwei Trinkhallen betreibt, sagt, dass sie schon öfter von Obdachlosen
belästigt worden sei. Ihr Verhalten in der Bank beschreibt sie so:
«Ich gehe einfach nur rein, mache meine Erledigungen und gehe
wieder.» Und der 61 Jahre alte angeklagte Maschinist aus Essen
schildert, er habe auch schon mal jemanden angesprochen und sei dann
beschimpft worden.

Der Vorfall in einer Essener Bank passiert am 3. Oktober 2016
nachmittags und löst eine Debatte über die Verrohung der Gesellschaft
aus. Ein Polizist und seine Kollegin sind die ersten, die sich um den
Mann wirklich kümmern, ihn ansprechen und versuchen, ihn bei
Bewusstsein zu halten. Sie alarmieren auch den Notarzt. «Für uns war
klar, dass es sich nicht um einen Obdachlosen handelt», sagt der
Beamte am Montag. Seine Kollegin beschreibt den Rentner als
«gepflegten ältereren Herrn, der Hilfe braucht».

In ihrem Plädoyer spart Staatsanwältin Nina Rezai nicht mit
deutlichen Worten: Unzweifelhaft sei es ein Unglücksfall gewesen.
«Eine Hilfeleistung war möglich und zuzumuten. Heutzutage hat jeder
ein Mobiltelefon, damit ein Notarzt verständigt werden kann.»
Außerdem habe es in der Filiale ein Telefon gegeben. «Wenn man das
Video gesehen hat, ist man sprachlos.» Rezai plädiert auf hohe
Geldstrafen. Diese müssten empfindlich sein, «um ein deutliches
Zeichen zu setzen, dass wir uns nicht in Richtung einer wegsehenden
Gesellschaft bewegen». Die Verteidiger fordern Freisprüche. Ein
Rechtsmediziner sagt im Prozess, dass ein schnelleres Eingreifen
eines Notarztes nicht zwingend zum Überleben des Mannes beigetragen
hätte.

Das Gericht verhängt noch am Montag Geldstrafen gegen die drei
Angeklagten. 2400 beziehungsweise 2800 Euro müssen die beiden Männer
zahlen, 3600 Euro sind es bei der Frau. Besonders ihr wirft
Amtsrichter Karl-Peter Wittenberg eine «Scheißegal-Haltung» vor.
«Keiner wollte Hilfe leisten», sagt er bei der Urteilsbegründung. Der

Mann sei ihnen einfach gleichgültig gewesen. Der 83-Jährige habe
mitten im Weg gelegen und sich sogar noch geschnäuzt. «Dann soll mir
einer erzählen, das ist ein Schlafender? Ich bitte Sie», sagt der
Richter. Die Angeklagten hätte so getan, als ob in jeder Bankfiliale
ein Obdachloser vor den Geldautomaten liege.

Dass manche Menschen lieber wegsehen als zu helfen, sei psychologisch
gar nicht so ungewöhnlich, sagt Diplom-Psychologe Gerd Zimmek aus
Mönchengladbach. Eine große Rolle spiele dabei die Angst, «was falsch

zu machen». Den Menschen sei das peinlich oder sie würden negative
Konsequenzen fürchten - etwa sich strafbar zu machen. Ein Problem sei
häufig auch, wenn mehrere Menschen vor Ort seien. «Jeder denkt, der
andere würde helfen», erklärt Zimmek.

Zwei Verteidiger kündigen noch im Gerichtssaal an, in Berufung gehen
zu wollen. Der dritte wolle dies noch überlegen. Das Verfahren gegen
den vierten Angeklagten wurde im Vorfeld wegen dessen
Gesundheitszustandes abgetrennt.