«Man wird so aggressiv»: Demenzbegleiter unterstützen Angehörige Von Kristin Kruthaup, dpa

Der Kaffee steht im Kühlschrank, die Milch statt der Kanne in der
Kaffeemaschine: Erkrankt jemand an Demenz, ist das für Angehörige
eine Herausforderung. Ehrenamtliche Demenzbegleiter unterstützen sie
bei der Pflege. Ein Besuch bei der Ausbildung in Münster.

Münster (dpa/lnw) - Die Ausbildung zur Demenzbegleiterin ist für
Maria Elbers (65) eine letzte Ehrung ihres Vaters. Vor drei Jahren
ist er mit 98 Jahren schwer an Demenz erkrankt verstorben. «Ich habe
im Nachhinein das Gefühl, dass ich ihm nicht gerecht worden bin»,
sagt sie. Oft sei sie ungeduldig mit seiner Vergesslichkeit gewesen.
Auch um die Erkrankung ihres Vaters im Nachhinein besser zu
verstehen, macht die Rentnerin diesen Kurs. «Das, was ich meinem
Vater nicht geben konnte, will ich in der Gegenwart anderen geben»,
sagt sie.

Elbers ist eine von zwanzig Teilnehmern in der Ausbildung zur
ehrenamtlichen Demenzbegleiterin bei den Maltesern in Münster. Die
Ausbildung dauert 55 Unterrichtseinheiten und kostet zur Zeit 200
Euro. In dem Kurs lernen sie etwa die verschiedenen Demenzformen und
die typischen Symptome kennen. Später soll sie als Ehrenamtliche zum
Beispiel in einem Demenz-Café der Malteser zum Einsatz kommen. Aber
auch Angehörige können zum besseren Verständnis der Krankheit den
Kurs machen. «Der Kurs war sofort voll», sagt Ruth Schräder von den
Maltesern im Bistum Münster über das Interesse.

Demenz ist wie Krebs oder Diabetes eine der großen Volkskrankheiten
in Deutschland. Derzeit sind nach Schätzungen der Deutschen Alzheimer
Gesellschaft 1,6 Millionen Menschen in Deutschland an Demenz erkrankt
- in NRW sind es schätzungsweise rund 336 000 ab 65 Jahren. «Wegen
der höheren Lebenserwartung werden es immer mehr», sagt Sabine
Jansen, Geschäftsführerin der Deutschen Alzheimer Gesellschaft. Im
Jahr 2050 gehe man von 3 Millionen an Demenz Erkrankten in
Deutschland aus.

«Die ehrenamtlichen Helfer haben in der Pflege eine große Bedeutung»,

sagt Jansen. Gerade im Anfangsstadium der Demenz seien sie für die
Angehörigen oft ein niedrigschwelliges Angebot, um sich zumindest für
kurze Zeit zu entlasten. Das betont auch Simon Eggert vom Zentrum für
Qualität in der Pflege: Freiwillige spielten «mittlerweile oft eine
wichtige Rolle.» Wichtig sei allerdings, dass sie gut geschult werden
und nicht als preiswerte Hilfskräfte in der Versorgung falsch
verstanden würden. Wie viele ehrenamtliche Helfer es gibt, ist
unklar.

Für die Familien von an Demenz Erkrankten ist die Pflege eine
Herausforderung: «Demenz bedeutet für die Angehörigen immer, wenn man

die Pflege übernimmt, sein Leben umzukrempeln», sagt Schräder. Und
viele tun das: Nach Schätzungen der Deutschen Alzheimer Gesellschaft
werden etwa zwei Drittel der Angehörigen zu Hause gepflegt.

Bei Maria Elbers Vater fing es mit Kleinigkeiten an: Als ihre Tochter
Abitur macht, bringt sie nach der Feier die entwickelten Fotos ihrem
Vater. Eine Woche später will sie die Bilder zurückhaben, doch ihr
Vater will sie nie bekommen haben. Dann wurde es schlimmer. «Der
Kaffee stand im Kühlschrank, die Milchtüte unter der Kaffeemaschine»,

erinnert sie sich. Ihr Bruder, bei dem ihr Vater wohnt, schaut nun
täglich, ob in der Wohnung alles in Ordnung ist. Am Wochenende und
während des Urlaubs macht sie das. Es sei dann auch gefährlich
geworden, weil er etwa den Herd angelassen hat, erinnert sich Elbers.
«Man wird auch so aggressiv. Ich habe dann auch mit ihm geschimpft,
dass er so starrsinnig ist», erinnert sich Elbers. Heute tue ihr das
manchmal leid.

Vergesslichkeit, Starrköpfigkeit, Aggressivität, Depressionen: Für
die Angehörigen sei es schwer auszuhalten, dass das «Ich» einer
geliebten Person langsam verschwinde, erklärt Andreas Kortüm, Leiter
des Demenzbegleiter-Kurses in Münster. Einfacher werde es, wenn sie
die Krankheit und ihre typischen Symptome kennen und verstehen.

In seinem Kurs lernen die Teilnehmer zum Beispiel, dass es wichtig
ist, nachweislich falsche Antworten zu akzeptieren. Widerspruch sorge
nur für weitere Verwirrung des Erkrankten. Familien sollten sich auch
nicht scheuen, sich früh Hilfe von außen zu holen. Immer wieder seien
sie überfordert und die Situationen eskalieren. «Man braucht
zwischendurch einfach Verschnaufpausen», sagt Kortüm.

Elbers hat bei ihrem ersten Gespräch mit Dozent Kortüm viel Neues
über Demenz gelernt. Eins hat sie intuitiv richtig gemacht: Man soll
mit dem Erkrankten darüber reden, was sie noch wissen, statt sie auf
ihre Gedächtnislücken hinzuweisen. Als ihr Vater am Ende im Heim
lebt, war er oft niedergeschlagen. Sie hat dann versucht, ihn mit
Geschichten von früher abzulenken. «Vieles aus der Gegenwart hatte er
vergessen», sagte sie. «Wie die Moorlichter aussahen, wenn er als
Kind mit zur Jagd war, konnte er aber genau schildern», sagt sie.