Sterbenden Rentner in Bank ignoriert: Drei Kunden stehen vor Gericht Von Helge Toben, dpa

Sprachlos machte der Fall, fassungslos das Verhalten: Vor knapp einem
Jahr liegt ein hilfloser Mann im Vorraum einer Essener Bankfiliale.
Vier Kunden ignorieren ihn, er stirbt später. Jetzt stehen drei
Bankkunden vor Gericht.

Essen (dpa) - Eine Bankfiliale in Essen-Borbeck. Im Vorraum bricht
ein Rentner zusammen, hilflos liegt der 83-Jährige neben den
Bankautomaten. Auf dem Video der Überwachungskamera sind die vier
Bankkunden zu erkennen, die um den Mann herumgehen, die über ihn
hinwegsteigen und ihn achtlos liegen lassen. Erst der fünfte Kunde
alarmiert den Arzt. Der Rentner stirbt eine Woche später im
Krankenhaus.

Deutschlandweit sorgt der Fall für Schlagzeilen, er heizt zudem die
Debatte an über eine Verrohung der Gesellschaft. Nun müssen sich drei
der vier Kunden auf dem Video wegen unterlassener Hilfeleistung vor
Gericht verantworten.

«Wie abgestumpft muss man sein, um hier nicht zu reagieren?»,
schimpft damals, im Oktober vor einem Jahr, jemand auf Twitter.
«Jeder hat schließlich ein Handy!» Ein anderer schreibt: «Es hätt
e
euer Vater oder Opa sein können.» Essens Oberbürgermeister Thomas
Kufen (CDU) zeigt sich «nachdenklich und betroffen zugleich», auch
Essens Bischof Franz-Josef Overbeck zeigt sich erschüttert. 

Die ganze Fassungslosigkeit liest sich auch aus den Zeilen der
Polizeimitteilungen jener Tage zu dem Fall und den Kunden: «Teilweise
gingen sie nah an dem Sterbenden vorbei oder stiegen hinüber, um ihre
eigenen Finanzgeschäfte durchzuführen», heißt es darin unter andere
m.

In der Anklageschrift werden die entscheidenden Momente festgehalten:
Demnach will der Rentner am 3. Oktober, dem Tag der Einheit, seine
Bankgeschäfte an einem Überweisungsautomaten erledigen. Innerhalb
weniger Minuten stürzt er zweimal rückwärts, er kommt dabei mit dem
Kopf auf dem Fliesenboden auf. Nach einem dritten Sturz bleibt er
liegen. Wenige Minuten später betreten nacheinander vier Kunden die
Filiale. «Die Angeklagten sollen den auf dem Boden liegenden Mann
nicht beachtet und sich nicht um ihn gekümmert haben», wirft ihnen
die Anklagebehörde vor.

Erst sieben Minuten später kommt ein fünfter Kunde, der endlich die
Nummer des Notrufs wählt. Weitere 20 Minuten später trifft ein
Rettungswagen ein und bringt den Senior in eine Klinik. Das
Bewusstsein erlangt er nicht wieder, der Mann stirbt eine Woche
später.

Zwar ergibt ein Gutachten, dass der Rentner auch gestorben wäre,
hätte sich ein Arzt früher kümmern können. Laut Obduktion erlitt de
r
83-Jährige eine Schädel-Hirn-Verletzung, die vom Sturz auf den
Hinterkopf stammen könnte. Für viele unverständlich bleiben dennoch
die Reaktionen der Bankkunden.

Zwei der Angeklagten sagten nach früheren Angaben der
Staatsanwaltschaft aus, sie hätten den zusammengebrochenen Mann für
einen Obdachlosen gehalten. Allerdings werten die Ankläger dies als
Schutzbehauptung, schließlich hatte der Mann etwa keine Plastiktüten
dabei und keinen Schlafsack. Dagegen spreche auch die Position, in
der der Mann auf dem Fliesenboden gelegen habe.

Vor Gericht stehen am Montag ein 55-jähriger Mann aus Oberhausen
sowie eine Frau (39) und ein Mann (21) aus Essen. Beim vierten
Angeklagten, einem ebenfalls 55 Jahre alten Mann aus Essen, wird noch
geprüft, ob er verhandlungsfähig ist.

Noch am Montag könnte nach Einschätzung des Gerichts ein Urteil
fallen. Sechs Zeugen sind geladen. Neben vier Polizisten und dem
Mann, der den Notruf wählte, wird auch die Tochter des gestorbenen
Rentners erwartet.