Nicht automatisch gesetzt Von André Stahl, dpa

Er ist der erfahrenste und beliebteste Minister am Kabinettstisch.
Doch ob es für Wolfgang Schäuble auch in einer nächsten CDU-geführt
en
Regierung an prominenter Stelle weiter geht ist längst nicht
ausgemacht. Und das ist keine Frage des Alters.

Berlin (dpa) - Spätestens am 24. Oktober muss der neu gewählte
Bundestag zu seiner ersten Sitzung zusammenkommen - «am dreißigsten
Tage nach der Wahl», wie es im Grundgesetz heißt. Eröffnet wird die
konstituierende Parlamentssitzung vom dienstältesten Abgeordneten.
Was wohl Wolfgang Schäuble sein wird, der seit 1972 für die CDU im
Bundestag sitzt und wenige Tage vor der Wahl 75 Jahre alt wird.

Auf die Rolle des Alterspräsidenten aber wird sich Schäuble, der für

die Union bis auf Kanzler und Bundespräsident schon alles einmal
gemacht hat, in den nächsten vier Jahren aber nicht beschränken.

Wer den Direktkandidaten aus dem Wahlkreis 284 (Offenburg) dieser
Tage beim Stimmensammeln und bei TV-Auftritten sieht, erlebt keinen
amtsmüden Politiker. Vielmehr einen eher entspannten Wahlkämpfer, der
unaufgeregt in der Pose des «elder statesman» von den «riesigen
Herausforderungen» redet, vor denen Deutschland, Europa und die Welt
stünden. Und der daher noch einiges vorhat und offen ist für alle
möglichen künftigen Koalitions-Konstellationen. Die Frage ist nur, ob
und in welchem Amt Schäuble weitermachen kann.

Dass sich diese Frage überhaupt stellt, scheint seltsam genug.
Schließlich ist im noch amtierenden Kabinett kein Minister beliebter
als Schäuble. Der am längsten dienende Finanzminister in der EU und
den Top-Industrieländern glänzt seit 2014 mit einem ausgeglichenen
Haushalt sowie Etat-Überschüssen und genießt nach Finanz- und
Euro-Staatsschuldenkrisen das Vertrauen vieler Deutscher. Schäuble
hat die deutsche Einheit ausgehandelt, als Innenminister 2006 die
Islamkonferenz als Dialog zwischen Muslimen und der Politik ins Leben
gerufen und schon damals den Satz gesagt, der Islam gehöre zu
Deutschland - lange vor Ex-Bundespräsident Christian Wulff (CDU).

Dennoch gibt es für Schäuble keinesfalls eine Garantie, auch dem
nächsten Kabinett an prominenter Stelle anzugehören - angesichts der
aktuellen Umfragen aller Voraussicht nach wieder unter CDU-Kanzlerin
Angela Merkel. Denn die möglichen Regierungspartner der Union - ob
eine in den Bundestag zurückkehrende FDP, erneut eine widerwillige
SPD oder regierungswillige Grünen - jeder potenzielle Koalitionär
dürfte ein Auge auf das wichtige Finanzressort werfen. In der Regel
beanspruchen kleinere Regierungsparteien ein Ressort ihrer Wahl.

Sowohl bei der FDP als auch der SPD gilt es nach acht Jahren
Schäuble-Erfahrung inzwischen als Fehler, sich 2009 beziehungsweise
2013 nicht das Finanzministerium als das Schlüsselressort geschnappt
zu haben und stattdessen ins Auswärtige Amt gezogen zu sein. Der
Posten des Chef-Diplomaten puscht den jeweiligen Amtsinhaber auf der
Beliebtheitsskala zwar rasch nach oben, bedeutet aber weniger Macht.
Zumal in den kommenden Jahren viel Geld verteilt werden kann.

Als Bundestagspräsident würde Schäuble das zweithöchste Amt im Staa
te
bekleiden. Er könnte Zeichen setzen beim Umgang mit der AfD im
Parlament - und wäre körperlich weniger belastet. Kein abwegiger
Gedanke also. Als Wirtschaftsminister wird sich Schäuble nicht
abspeisen lassen, eine erneute Rückkehr ins Innenministerium dürfte
den Juristen nicht reizen. Als oberster deutscher Diplomat könnte
Schäuble zwar auch die EU-Reform vorantreiben, den «Brexit» begleiten

und als Krisenmanager weltweit auftreten. Sein Einfluss über das
Auswärtige Amt wäre aber nicht so groß wie der über das
Bundesfinanzministerium, das sich unter Schäuble längst nicht nur auf
Steuer- und Haushaltspolitik beschränkt. Den konfliktträchtigen Umbau
der Euro-Zone dürfte Schäuble kaum anderen überlassen wollen.

Eine Frage stellt sich aber weiter: Wie lange spielt die Gesundheit
mit? Kanzlerin und CDU-Chefin Merkel braucht auch in den nächsten
Jahren den allseits respektierten Polit-Profi - weniger in der Rolle
des Vertrauten, sondern vielmehr als loyale und eigenständige
Autorität. Beide duzen sich auch nach Jahren nicht. Schäuble bedient
den konservativen Flügel, er steht für stückweise Veränderungen. Se
in
Wort zählt in einer verunsicherten Partei.

Merkel könnte dem künftigen Bündnispartner im Koalitionsgefeilsche
weit entgegenkommen - um Schäuble als Kassenwart und maßgeblichen
Euro-Manager zu halten. Wie weit, wird sich zeigen. Dass er wichtig
ist für die CDU-Chefin, zeigte sich 2010. Da dachte Schäuble, der
seit einem Attentat 1990 im Rollstuhl sitzt, ernsthaft ans Aufgeben.
Ein Wunde heilte nicht, mehrfach musste Schäuble ins Krankenhaus -
mitten in der Euro-Krise. Merkel überredete den protestantischen
Pflichtmenschen zu bleiben - und gab ihm Zeit. Zu Schäubles 75.
Geburtstag am 18. September lädt die Landes-CDU zu einem Empfang,
auch Merkel reist dafür extra nach Offenburg.

Mit seinem Alter kokettiert Schäuble inzwischen häufiger. Aber den
Spaß am Politik-Betrieb scheint der Viel-Leser und Vater von vier
Kindern nicht verloren zu haben. Der fährt weiter seinen ganz eigenen
Stil - eiserne Disziplin, Optimismus und Sturköpfigkeit. Mit scharfem
Verstand und schlagfertig - mal witzig, mal charmant, aber auch
rechthaberisch, launisch, mit beißendem Spott und viel Häme.

Nach dem Wahlabend will Schäuble offenbar weitermachen, als sei
nichts geschehen. Mitte Oktober jedenfalls ist die Teilnahme am
Jahrestreffen des Internationalen Währungsfonds (IWF) in Washington
gebucht - und zwar kaum als Abschiedstour. Wann es Zeit für einen
Abschied ist, formulierte Schäuble jüngst selbst: «An dem Tag, an dem

ich glaube, es sei früher besser gewesen, muss mich dann jemand
zwingen aufzuhören, Politik zu machen.»