Menschenrechtlerin: Folter in Türkei nimmt seit Putschversuch zu

Dass die türkische Menschenrechtlerin Sebnem Korur Fincanci nach
Düsseldorf reisen durfte, ist bemerkenswert. Denn die
Rechtsmedizinerin ist eine scharfe Kritikerin der Erdogan-Regierung.
Sie sammelt Informationen über Folter.

Düsseldorf (dpa) - Folter in Gefängnissen und Polizeigewalt nehmen in
der Türkei nach Beobachtung von türkischen Menschenrechtlern seit der
Niederschlagung des Putschversuchs 2016 wieder zu. «Wir sammeln aus
allen Quellen Daten, auch aus den sozialen Medien», sagte die
Vorsitzende der unabhängigen türkischen Menschenrechtsstiftung, die
Istanbuler Rechtsmedizinerin Sebnem Korur Fincanci, am Mittwoch am
Rande eines internationalen Rechtsmedizin-Symposiums in Düsseldorf
der Deutschen Presse-Agentur. «Es gibt ernste Foltervorwürfe in
Gefängnissen und auch in Untersuchungshaft.»

Fincanci warnte zugleich davor, die Annäherung der Türkei an die
Europäische Union aufzugeben. Der Annäherungsprozess habe auch zu
neuen Auflagen für die Polizei und die Haftbedingungen in türkischen
Gefängnissen geführt, wie etwa regelmäßige ärztliche Untersuchung
en
der Inhaftierten. «Es ist wichtig, eine Kraft von außen zu haben»,
sagte Fincanci.

Die Menschenrechtlerin war vergangenes Jahr wegen des Vorwurfs der
Propaganda für die verbotene kurdische Arbeiterpartei PKK kurzzeitig
festgenommen worden. Sie sei dennoch nicht wie viele andere
Akademiker aus der Istanbuler Universität entlassen worden und dürfe
sogar reisen, sagte sie.

In den überfüllten Gefängnissen seien Wächter angewiesen worden,
besonders hart gegen inhaftierte mutmaßliche Anhänger des in den USA
lebenden Predigers Fethullah Gülen vorzugehen, den die Regierung für
den Putschversuch vom Juli 2016 verantwortlich macht. Seien sie nicht
brutal genug, dann würden die Wächter selber als Anhänger Gülens
verdächtigt.

Auch inhaftierte Journalisten und Menschenrechtler seien von
Repressionen betroffen. So bekämen sie nur begrenzt Zugang zu Büchern
und Zeitungen und müssten Einschränkungen bei Besuchen von Freunden,
Familienangehörigen und Anwälten erdulden. Derzeit befinden sich elf
deutsche Staatsangehörige wegen des Verdachts politischer Straftaten
in türkischer Haft, etwa wegen mutmaßlicher Unterstützung von
Terroristen oder Putschisten.

Nicht immer bekämen Menschenrechtler Zutritt zu Bereichen, in denen
es Foltervorwürfe gebe. Auch hätten freigelassene Folter-Überlebende

meist zu viel Angst, sich an die Reha-Zentren ihrer Organisation zu
wenden. Inzwischen habe sich ein Klima der Angst entwickelt. «Jeder
der die Regierung kritisiert, ist von Verhaftung bedroht.»

Fincanci gehört zu den Autorinnen des «Istanbul-Protokolls», das
internationale Standards für die Begutachtung und Dokumentation von
Folterspuren setzt und auch von den Vereinten Nationen angenommen
wurde.