Der Krankenpfleger, der die Kanzlerin herausforderte Von Kristina Wienand, dpa

Wenn Alexander Jorde über die Arbeit im Krankenhaus spricht, funkeln
seine Augen vor Begeisterung. Doch im ganzen Land fehlt es an
Pflegepersonal. Dazu hat er Kanzlerin Merkel live im Fernsehen zur
Rede gestellt.

Lübeck (dpa) - Um 06.00 Uhr hätte Alexander Jorde am Dienstag
eigentlich die Frühschicht im Krankenhaus angetreten: Nach Patienten
geschaut, ihnen geholfen aufzustehen, sie nach Schmerzen gefragt.
Wegen seines Auftritts in der ARD-«Wahlarena» lag er aber erst gegen
03.00 Uhr morgens im Bett. Seine Schicht hat der junge Krankenpfleger
aus Hildesheim, der seit dem TV-Auftritt Held seiner Station ist, mit
einem Kollegen getauscht. 

Früh wach war Alexander am Tag, nachdem er Kanzlerin Angela
Merkel während der Livesendung aus Lübeck eine Frage gestellt hatte,

trotzdem. Viele Nachrichten von Kollegen, Freunden und Fremden
erreichten ihn via Smartphone und soziale Netzwerke. Der 21 Jahre
alte Auszubildende hatte der CDU vorgeworfen, dass im Parteiprogramm
stehe, niemand müsse sich bei der Pflege Sorgen machen. Dabei seien
Pfleger überlastet und müssten sich pro Schicht um zu viele Patienten

kümmern. Tagsüber bis zu 20, nachts könnten es je nach Station auch

schon mal 40 sein, beklagte Jorde. 

Für seinen Auftritt hatte er sich keinen Spickzettel gemacht, sondern
sich nur den ersten Satz und die Frage im Geist zurecht gelegt: Den
Passus zur unantastbaren Würde des Menschen aus dem Grundgesetz. Dann
formulierte er in energischem Ton die Frage: «Was wollen Sie konkret
gegen den Pflegenotstand tun?» Zu dem Zeitpunkt lief die Livesendung
knapp 20 Minuten. 

Auf seine hartnäckige Frageweise reagierte Merkel mit vielen
Erklärungen, die den Hildesheimer aber enttäuscht
zurückließen. «Politiker könnten zum Beispiel eine Quote einf
ühren,
um Krankenhäuser zu verpflichten, auf lange Sicht mehr Krankenpfleger
und -schwestern einzustellen», erklärt der Azubi.

Jorde hatte auf einen Aufruf der Sendungsmacher im Internet reagiert
und vor wenigen Wochen seine Frage dorthin geschickt - mit Erfolg. Er
ist politisch interessiert, aber kein Mitglied einer Partei. Sein
Engagement spürt man in fast jedem Satz, den er spricht. «Viele
Leute
wissen ja auch gar nicht, was Pfleger jeden Tag leisten. Das ist auch
viel wissenschaftlicher, als man sich das vorstellt.» Es sei nicht
nur Waschen und Versorgen. Er sei jung und habe die Reserven, sich
für seine Kollegen einzusetzen. «So eine Gelegenheit wie gestern gibt
es ja nur einmal», sagt er. Er klingt überzeugend und älter als 21.


Jorde hat sein Abi mit einem Schnitt von 1,9 gemacht, war danach ein
Jahr bei der Marine - davon ein halbes Jahr im Auslandseinsatz auf
einem Versorger in der Ägäis. «Das war aber auf Dauer nichts für
mich», sagt er und schüttelt dabei ein wenig den Kopf.

Medizinische Zusammenhänge und Kliniken hätten ihn dagegen schon
immer interessiert. Seine Mutter ist Krankenschwester. Mehr als
Jordes halbes Leben ist Merkel nun an der Macht - seit er neun Jahre
alt ist, rechnet der junge Mann vor. Seitdem müsse sich doch etwas
geändert haben. «Der Pflegenotstand kam ja nicht von ungefähr.» E
r
fordert von der Politik auch, durch Kampagnen für den Beruf zu
werben: «Wenn's keiner macht, dann wird's brenzlig.»