Asthma aus dem Auspuff Von Roland Losch, dpa

In Deutschland sind Stickoxid-Messstationen oft direkt an
verkehrsreichen Straßen aufgestellt, in anderen Ländern ist das
anders. Auch sonst gibt es in der Diesel-Debatte nicht immer
dieselben Maßstäbe .

Frankfurt (dpa) - Dieselskandal, Grenzwerte, Fahrverbote - der
Selbstzünder ist kein Selbstläufer mehr. Aber auf der Internationalen
Automobilausstellung IAA zeigt die Autoindustrie auch wieder Dutzende
neue Dieselfahrzeuge. Immerhin gelten die Stickoxid-Grenzwerte für
die Straße nicht in den Frankfurter Messehallen. Der Kabarettist
Bruno Jonas kam nach der seit zwei Jahren tobenden Debatte jetzt zu
der Erkenntnis: «Wir brauchen Fahrverbote in geschlossenen Räumen!»

Wie gefährlich sind Stickoxide?

Die EU-Umweltagentur schätzt, dass in einem Jahr alleine in
Deutschland 10 000 Menschen wegen der Luftverschmutzung mit Stickoxid
(NOx) vorzeitig sterben. Mediziner, die als Sachverständige im
Diesel-Untersuchungsausschuss des Bundestags aussagten, halten diese
Aussage aber für wissenschaftlich nicht haltbar.

Professor Thomas Kuhlbusch von der Bundesanstalt für Arbeitsschutz
und Arbeitsmedizin sagte, NO2 sei eine Ursache von
Atemwegserkrankungen. NO2 gehört zu den Stickstoffoxiden. Professor
Annette Peters vom Helmholz-Zentrum für Epidemiologie sagte,
Asthmatiker zeigten Asthma-Symptome, wenn sie Stickoxide einatmen -
besonders Kinder. Der Münchner Toxikologie-Professor Helmut Greim
sagte, ein Zusammenhang von Luftverschmutzung und Asthma bei Kindern
sei offenkundig. Zwar seien mehrere Stunden dauernde Belastungen von
3000 Mikrogramm NO2 pro Kubikmeter Luft «für den Menschen
gesundheitlich unbedenklich getestet worden». Eine Langzeitbelastung
von 60 Mikrogramm an einer stark befahrenen Straße sei gesundheitlich
eher unbedenklich. Der EU-weite Grenzwert von 40 Mikrogramm sei
vernünftig.

Welche Grenzwerte gibt es?

In den USA gelten 103 Mikrogramm als unbedenklich. Die EU hat die
Empfehlung der Weltgesundheitsbehörde WHO übernommen: 40 Mikrogramm
im Jahresmittel als Höchstwert. Er gilt auch für deutsche Straßen.
Für Büros schreiben die deutschen Gesundheitsbehörden 60 Mikrogramm
als Grenzwert vor. Für Beschäftigte mit einer 40-Stunden-Woche in
Industrie und Handwerk sind dürfen es 950 Mikrogramm. «Ein Grenzwert
ist immer ein politischer Wert», er berücksichtige auch technische
Möglichkeiten und wirtschaftliche Folgen, erklärte UBA-Fachreferent
Marcel Langner.

Wer bläst Stickoxide in die Luft, und wie hoch ist die Belastung?

Seit der Wiedervereinigung ist die Luft in Deutschland viel sauberer
geworden. Das gilt für Feinstaub ebenso wie für NOx. Laut
Umweltbundesamt (UBA) sank die NOx-Belastung seit 1990 von 2,9
Millionen auf unter 1,2 Millionen Tonnen. Gut 60 Prozent davon
stammen aus Kraftwerken, Industriebetrieben, Heizungen von
Privathaushalten und der Landwirtschaft, knapp 40 Prozent aus dem
Verkehr. Die Jahresmittelwerte lagen auf dem Land bei 10, in Städten
zwischen 20 und 30 Mikrogramm NO2 je Kubikmeter Luft, und auch an den
verkehrsnahen Messtationen blieben sie im Durchschnitt unter 40
Mikrogramm. Laut EU-Kommission werden jedoch in 28 Regionen in
Deutschland diese Grenze überschritten. Spitzenreiter im vergangenen
Jahr: das Stuttgarter Neckartor mit 82 Mikrogramm.

Wie wird gemessen?

Laut EU-Richtlinie sollen die Messstationen straßennah aufgestellt
werden. In Deutschland wurden sie an neuralgischen Punkten errichtet,
«das wurde sehr akribisch gemacht», sagte Langner. Aber die EU lasse
Ermessensspielraum. In Italien und anderen Ländern handelten die
Behörden mitunter anders: «Wir sind genauer.»

Halten andere Länder die Grenzwerte ein?

Laut Greim liegt die mittlere NO2-Konzentration in Berlin bei 16, in
Stuttgart bei 23, in London bei 34 und in Barcelona bei 38 Mikrogramm
NO2. Laut EU-Kommission halten in Spanien drei Regionen die
Grenzwerte nicht ein, in Italien zwölf, in Großbritannien 16, in
Frankreich 19 und in Deutschland 28 Regionen. Wenn diese Staaten
nicht rasch Luftqualitätspläne verabschieden, droht ihnen ein
Verfahren wegen Verletzung der EU-Verträge.

Wie reagiert Deutschland?

Das Verwaltungsgericht Stuttgart hält Fahrverbote für ältere Diesel
für das effektiveste Mittel. Das wäre für viele Autofahrer, Pendler,

Handwerker ein Fiasko, ebenso wie für die Autoindustrie. Laut
Kraftfahrtbundesamt ist jedes dritte Auto in Deutschland ein Diesel.
Aber der von den SUVs befeuerte Trend zum Diesel ist vorbei, die
Debatte verunsichert Käufer: Im ersten Halbjahr waren nur noch 39
Prozent der Neuzulassungen Diesel. Beim Dieselgipfel im Kanzleramt
sagte die deutsche Autoindustrie Software-Updates für fünf Millionen
ältere Dieselautos zu. Außerdem will sie ältere Diesel mit hohen
Rabatten beim Kauf neuer Autos aus dem Verkehr ziehen. Darüber hinaus
wollen Bundesregierung und Industrie eine Milliarde Euro in den
kommunalen Nahverkehr, Ladesäulen für Elektroautos und anderes
investieren, um die Belastung zu senken. Auch die jetzt gesetzlich
vorgeschriebenen Abgasmessungen im Straßentest sollen helfen, die
Grenzwerte durchzusetzen.

Reicht das?

Ob Fahrverbote kommen, dürften das Bundesverwaltungsgericht und die
Politik 2018 entscheiden. An Straßen könnte etwa die Hälfte der
Belastung vom Verkehr kommen. Davon wiederum - da waren sich die
Sachverständigen im Bundestags-Untersuchungsausschuss einig - stammt
die Hälfte aus Dieselautos, die andere Hälfte aus Last- und
Lieferwagen, Bussen und Benzinmotoren. Professor Thomas Koch vom
Karlsruher Institut für Technologie (KIT) sagte im Ausschuss, Audi,
BMW Mercedes und VW hätten heute Dieselmotoren im Angebot, die einen
NOx-Ausstoß auf Grenzwertniveau im Realbetrieb erreichten. Der
Dieselmotor sei derzeit der umweltfreundlichste Antrieb, sagte Koch.
«Wir haben das Thema Stickoxide wirklich gelöst.» Andere dagegen
fordern einen radikalen Schnitt. Das Umweltbundesamt sieht es so:
«Bessere Luft gibt es nur, wenn alte Diesel gegen wirklich saubere
Autos getauscht werden. Das sind vor allem Benziner oder
Elektroautos.»