Neue HIV-Therapie in Sicht: Monatsspritze statt täglicher Pillen

Bisher müssen HIV-Patienten täglich Pillen nehmen, um das Virus zu
kontrollieren. Künftig könnte eine Monatsspritze ausreichen, wie
Forscher berichten.

Paris/London (dpa) - Eine Monatsspritze kann das HI-Virus im Körper
einer Studie zufolge ebenso gut kontrollieren wie die bisher übliche
tägliche Einnahme von Tabletten. Das hat ein internationales
Forscherteam mit deutscher Beteiligung am Montag auf der
HIV-Konferenz in Paris berichtet. Sollten - bereits laufende -
Zulassungsstudien die im Fachblatt «The Lancet» veröffentlichten
Ergebnisse bestätigen, könnte erstmals eine Injektionstherapie gegen
HIV auf den Markt kommen, die nur alle vier Wochen nötig wäre.
Unabhängige Experten sehen einen Meilenstein in der Geschichte der
HIV-Therapie erreicht, wie sie in einem «Lancet»-Kommentar schreiben.
Auch ein deutscher Experte spricht von einer Neuerung, die vielen
Menschen helfen könne, die Therapie besser in ihren Lebensrhythmus
einzupassen.

Bei der HIV-Behandlung nehmen Patienten derzeit täglich oral drei
Wirkstoffe, die die Viruslast im Blut unter die Nachweisgrenze
drücken können. Seit einigen Jahren gibt es Kombinationspräparate, so

dass Betroffene nur noch eine Tablette pro Tag benötigen. Die nun
getestete Injektionstherapie könnte die Behandlung weiter
vereinfachen: Patienten bräuchten - im Fall der Zulassung - nur noch
alle vier Wochen eine Dosis, allerdings als intramuskuläre Injektion.

In der Studie, die auch in Deutschland vor allem die Sicherheit der
Therapie prüfte, nahmen rund 300 Teilnehmer zunächst 20 Wochen lang
wie üblich drei Wirkstoffe als Tabletten ein, um die Viruslast im
Körper zu senken. Danach führten knapp 60 Patienten diese Behandlung
fort, während jeweils 115 Teilnehmer zwei Wirkstoffe im Abstand von
vier und acht Wochen intramuskulär injiziert bekamen.

Nach knapp zwei Jahren (96 Wochen) war die Viruskontrolle bei der
Injektionstherapie sogar etwas ausgeprägter als bei der
konventionellen Tabletten-Einnahme. Bei rund 90 Prozent der
Betroffenen wurde das Virus dauerhaft unterdrückt - sowohl bei
Injektionen im Abstand von vier Wochen wie auch von acht Wochen.
Häufigste Nebenwirkung waren Schmerzen an der Einstichstelle, die im
Mittel nach drei Tagen abklangen.

Die Ergebnisse zeigten, «dass eine langwirkende injizierbare
antivirale Therapie über einen langen Zeitraum sowohl hocheffektiv
sein als auch gut vertragen werden kann», wird Ko-Autor Joseph Eton
von der University of North Carolina in Chapel Hill in einer
«Lancet»-Mitteilung zitiert. Zulassungsstudien für die
Injektionstherapie laufen bereits - allerdings nur für den Abstand
von vier Wochen. Die achtwöchige Injektion hatte bei vier Teilnehmern
nicht angeschlagen.

Eine seltenere Anwendung könnte dazu führen, dass Patienten sich
zuverlässiger an Therapien halten. Dies würde sowohl die Kontrolle
des Aids-Erregers verbessern als auch die Entstehung von Resistenzen
gegen Wirkstoffe erschweren.

Norbert Brockmeyer von der Ruhr-Universität Bochum hält die neue
Therapie für eine «gute Lösung für Menschen, die Probleme haben,
täglich Tabletten zu nehmen». Auch dass diese Therapie nur zwei statt
wie bisher üblich drei Substanzen enthält, wertet der Sprecher des
Kompetenznetzes HIV/Aids als Fortschritt.

«Diese Resultate verdienen große Aufmerksamkeit», schreiben Mark Boyd

von der University of Adelaide und David Cooper von der University of
New South Wales in Sydney in einem «Lancet»-Kommentar. «Eine
antivirale Injektionstherapie ist umso attraktiver, je seltener sie
injiziert werden muss.» Die Studie biete einen markanten Meilenstein
in der Entwicklung von HIV-Therapien.

Aufmerksamkeit erregte in Paris auch der Fall eines neunjährigen
Kindes aus Südafrika, das seit Jahren ohne Therapie auskommt. Es war
laut Medienberichten mit HIV zur Welt gekommen und schon früh
antiviral behandelt worden. Seit achteinhalb Jahren lebt es demnach
ohne Therapie, der Grund für die Symptomfreiheit sei bislang unklar.

Für Brockmeyer ist der Fall nicht überraschend. «Wir wissen seit
Jahren, dass manche Menschen bei frühzeitiger Therapie jahrelang ohne
weitere Behandlung HIV kontrollieren.» Dazu gehört etwa die
sogenannte Visconti-Kohorte in Frankreich. Die etwa zehn
HIV-positiven Teilnehmer bekamen kurz nach der Infektion eine
antivirale Therapie, die nach gut drei Jahren abgebrochen wurde. Bei
den Teilnehmern fanden Forscher noch nach vielen Jahren kaum
HI-Viren.

Der einzige als geheilt geltende HIV-infizierte Mensch ist der
sogenannte «Berliner Patient». Timothy Ray Brown war 2006 an Leukämie

erkrankt und benötigte eine Stammzell-Transplantation. Die Ärzte der
Berliner Charité fanden einen Spender, dem der sogenannte
CCR5-Rezeptor fehlte - ein Einfallstor, durch das HIV in viele
Körperzellen eindringt. Seit der Transplantation ist der Erreger bei
Brown nicht mehr nachweisbar.