Dosiertes Risiko? Deutschland ist Hotspot für Medikamententests Von Christoph Zeiher, dpa

In kaum einem anderen Land werden so viele Medikamententests
durchgeführt wie in Deutschland. Für viele Probanden ist das eine
schnelle Geldquelle. Das Risiko wird dabei aber immer höher.

Düsseldorf (dpa) - «Du brauchst eine Auszeit in einer schicken
Umgebung und möchtest mal so richtig verwöhnt werden?» Mit Sätzen w
ie
diesen werben viele Jobportale im Internet für Medikamententests. Die
Angebote richten sich oft an Studenten oder Selbstständige: «Wir sind
gesund, jung und brauchen die Kohle», ist auf einer der Seiten zu
lesen.

In Deutschland sind freiwillige Probanden gefragt. Nur in den
USA werden noch mehr klinische Studien von Pharma-Unternehmen
durchgeführt als hierzulande. Nach Angaben des Verbands der
forschenden Arzneimittelhersteller (vfa) liegt Deutschland mit einer
Beteiligung an 532 Studien, die im vergangenen Jahr begonnen wurden,
deutlich vor Großbritannien mit 499 und Frankreich mit 390.

Die Bandbreite der Tests reicht dabei von ambulanten Studien für 50
Euro bis zu mehrwöchigen Klinikaufenthalten, für die Probanden schon
mal bis zu 6000 Euro erhalten. Die Tests sind ein gewaltiger Markt.
Nach eigenen Angaben investieren Pharma-Unternehmen in Deutschland
etwa 5,8 Milliarden Euro pro Jahr in Laborforschung und klinische
Studien.

Lukrative Angebote winken vor allem bei sogenannten Phase-I-Studien.
Dabei werden die Arzneimittel an gesunden Probanden getestet, um sie
auf mögliche Nebenwirkungen zu überprüfen. Allerdings sind die
Risiken dabei nicht zu unterschätzen. «Phase-I-Tests werden immer
gefährlicher», sagt Karl Lauterbach, Gesundheitsexperte der SPD.
Immer häufiger würden Medikamente getestet, die auf den
Immunmechanismus wirkten und dadurch zu schwerwiegenderen
Nebenwirkungen führen könnten als andere Medikamente.

Diese Gefahr sieht auch Wolfgang Becker-Brüser vom Fachmagazin
«Arznei-Telegramm». «Die Entwicklung von Immuntherapien gegen Krebs
hat in den letzten Jahren einen beträchtlichen Aufschwung erlebt»,
erklärt er. «Je komplexer und je innovativer ein Wirkprinzip ist,
desto weniger kalkulierbar ist das tatsächliche Risiko für die
Probanden.» Auf Nachfrage bestätigen auch die Arzneimittelhersteller
ein «erhöhtes Risikopotenzial» durch derartige Medikamente.

Dramatische Auswirkungen hatte ein derartiges Mittel bereits im Jahr
2006: Nach einem Phase-I-Test in Großbritannien schwebten damals
mehrere Probanden in Lebensgefahr. Bei dem Mittel handelte es sich um
ein Medikament, das in das Immunsystem eingreifen sollte. Noch
dramatischer verlief im vergangenen Jahr eine Studie in Frankreich.
Dort starb ein freiwilliger Proband an den unvorhergesehenen
Nebenwirkungen eines komplexen Testpräparats.

Das US-Unternehmen Parexel, das die Studie in Großbritannien damals
durchführte, hat auch einen Forschungsstandort in Berlin. Zu seiner
Arbeit in Deutschland will sich das Institut auf Nachfrage nicht
äußern. Man beruft sich auf amerikanische Vorschriften: «Wir sind ein

amerikanisches Unternehmen und haben strikte, zum Teil auch
gesetzliche (amerikanische) Vorgaben», heißt es in einer Antwort.

Bislang ist es in Deutschland zu keinen ähnlich schweren
Zwischenfällen wie in Frankreich oder Großbritannien gekommen. Mehr
als 100 000 gesunde Freiwillige haben nach Behördenangaben
hierzulande in den vergangenen elf Jahren an klinischen Tests
teilgenommen - stets im Rahmen hoher Sicherheitsstandards, wie die
Verantwortlichen betonen.

Bevor eine Studie in Deutschland durchgeführt werden kann, muss sie
entweder vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte
(BfArM) oder vom Paul-Ehrlich-Institut genehmigt werden. Zusätzlich
muss eine Ethik-Kommission jedes Projekt absegnen. «Die Entwicklung
eines neuen Arzneimittels ist ein mit Blick auf die Probanden- und
Patientensicherheit hochgradig regulierter Prozess», versichert ein
Sprecher des BfArM.

Genaue Daten darüber, wer an diesen Tests teilnimmt, gibt es
nicht. Für die meisten Phase-I-Studien sollte man aber kerngesund
sein und genügend Zeit mitbringen - sprich jung sein und keine 40-
Stunden-Woche haben. Studenten oder Selbstständige passen da perfekt
ins Muster.

Auch Angehörige oder potenzielle Patienten seien immer wieder
beteiligt, meint Annette Dufner vom Institut für Wissenschaft und
Ethik an der Uni Bonn. Bei vielen bleibt jedoch der finanzielle
Anreiz ausschlaggebend.