Schlangenhaut durch «Teufelswasser»: Indiens arsenverseuchte Brunnen Von Nick Kaiser, dpa

Vergiftung auf Zeit: Unzählige Menschen leiden in Indien und
Bangladesch noch heute, weil sie vor Jahrzehnten mit Arsen
verseuchtes Wasser getrunken haben. Es fing mit einer gut gemeinten
Idee an.

Kolkata (dpa) - Afruja ist erst Mitte zwanzig und schon seit vier
Jahren Witwe. Der Mann, mit dem sie als Jugendliche verheiratet
wurde, hatte wie viele andere Bewohner des ostindischen Dorfes
Kalyani jahrelang unbewusst Arsen-belastetes Wasser getrunken. Er
bekam schließlich Krebs. Als sie in ihrer Hochzeitsnacht zum ersten
Mal seinen mit dunklen Flecken übersäten Oberkörper sah, habe sie
sich erschrocken und ihn für eine Schlange gehalten, erzählt Afruja.

Kalyani gehört mit mehreren anderen Dörfern zur Gemeinde Deganga,
rund 60 Kilometer nördlich von Kolkata (früher Kalkutta), der
Hauptstadt des Bundesstaates Westbengalen. Ein Großteil der 17 000
Bewohner lebt von der Landwirtschaft. In den vergangenen 22 Jahren
sind nach Angaben des Bewohners Shankar Prasad Dey 1200 Menschen hier
krank geworden und 300 gestorben. Fast jede Familie sei betroffen.

Dey hilft dem Forscher Dipankar Chakraborti bei dessen Arbeit in
Deganga. Chakraborti erforscht seit fast 30 Jahren den gefährlich
hohen Arsengehalt des Grundwassers in Teilen Indiens und dem
benachbarten Bangladesch sowie dessen Auswirkungen auf die vielen
betroffenen Menschen. Mit zahlreichen Studien hat der Leiter des
Instituts für Umweltforschung der Jadavpur Universität in Kolkata
maßgeblich dazu beigetragen, das Problem bekannt zu machen.

Es gibt keine genauen Statistiken darüber, wie viele Menschen in
Indien und Bangladesch Arsenvergiftungen erlitten haben. Der
Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch zufolge sterben aber
jedes Jahr Tausende Menschen in der Region an den Folgen der
Arsenbelastung.

Das Grundwasser kommt aus dem Himalaya und enthält natürlich
vorkommendes Arsen. Die Vereinten Nationen schätzten bereits vor 15
Jahren, dass in Bangladesch bis zu 77 Millionen Menschen Wasser mit
einem Arsengehalt von mehr als 0,05 Milligramm pro Liter tranken. Der
von der WHO empfohlene Höchstwert liegt bei 0,01 Milligramm.
Chakraborti hat nach eigenen Angaben in Indien schon das 40-fache
gemessen, in Bangladesch sogar das 700-fache. In Indien sind laut dem
Nationalen Hydrologie-Institut rund 50 Millionen Menschen betroffen.

Die Menschen in der Region hatten in den 1970er Jahren angefangen,
das Grundwasser zu trinken, weil die Weltgesundheitsorganisation
(WHO) und das Kinderhilfswerk Unicef das Bohren sogenannter
Rammbrunnen als saubere Wasserquelle und Alternative zum
Oberflächenwasser gefördert hatten. Letzteres hatte Cholera und
andere Erkrankungen verursacht. Vom Arsen im Grundwasser wusste
damals niemand.

«Als der erste Rammbrunnen in Westbengalen gebohrt wurde, sind die
Leute aus ihren Dörfern geflüchtet und haben «Teufelswassser»
gerufen», erzählt Chakraborti. Sie hätten Angst gehabt, weil das
Wasser von unter der Erde stammte. Ihnen sei aber versichert worden,
dass es sich zum Trinken und Bewässern ihrer Felder wunderbar eigne.
«Letztlich hat sich gezeigt, dass es tatsächlich Teufelswasser war»,

meint Chakraborti.

Eine Arsenvergiftung äußert sich meist zuerst durch eine
schmerzhafte, juckende Hornhaut an den Handflächen und Fußsohlen.
Hinzu kommt danach oft eine Hyperpigmentierung der Haut - die dunklen
Flecken am Oberkörper von Afrujas Mann. Es kann zu Krebserkrankungen
der Haut und anderer Organe kommen - je nach Dauer und Menge des
Arsenkonsums manchmal erst Jahrzehnte danach.

Auch Nervenkrankheiten können eine Folge sein, wie der Neurologe
Subhash Chandra Mukherjee erklärt. Er gehört zu einer Gruppe von
Medizinern, die auf eigene Kosten mit dem Forscher Chakraborti in die
Dörfer fahren, um die Kranken zu behandeln und Tests durchzuführen.

Hilfe leisteten dort nur Freiwillige wie sie und
Nichtregierungsorganisationen, erzählt der pensionierte
Neurologie-Chef des Krankenhauses Medical College in Kolkata. «Es gab
nie ein ernsthaftes Bemühen irgendeiner Regierung.» Es gebe viele
andere Probleme in Indien, zudem seien die meisten Betroffenen arm,
sagt Mukherjee. «Solange keine wichtige Person eine solche Krankheit
bekommt, kümmert es keinen.»