Der Landkultur-Macher Von Miriam Schönbach, dpa

Die Schwesternhäuser in Kleinwelka ließ die Herrnhuter Brüdergemeine

im 18. Jahrhundert für ledige Mädchen und ältere Damen bauen. Knapp
250 Jahre später will der Ideenfinder Mike Salomon dem Ensemble mit
Kultur und Kunst neues Leben einhauchen.

Kleinwelka (dpa/sn) - In einer Birke baumelt ein Kronleuchter im
Garten der Schwesternhäuser in Kleinwelka, einem Ortsteil Bautzens.
Über dem violett blühenden Lavendel schwirren gelbe Zitronenfalter
und Hummeln. Mike Salomon kassiert noch für die Übernachtung im
kleinen Heuhotel-Wagen. Dann setzt er sich auf einen alten Stuhl,
nippt am frisch gebrühten Kaffee, dreht sich eine Zigarette und
schließt die Augen. «In der Zukunft sehe ich hier einen Kulturbetrieb
mit einer Künstlerresidenz, einem Lese- und Geschichtencafé und einer
Bühne. Es geht darum, das Areal zu gesunden und neu inhaltlich
anzurichten», sagt der Kulturentwickler.

Salomon steht auf, er holt einen Schlüssel für die sechs zum Teil
noch aus dem 18. Jahrhundert stammenden Gebäude auf dem 5000
Quadratmeter großen Grundstück im Besitz der Herrnhuter
Brüder-Unität. Die Glaubensgemeinschaft ließ den Komplex zwischen
1770 und 1896 am heutigen Zinzendorf-Platz samt Kirche errichten. Im
Viertelstundentakt erschallt ihre Glocke bis heute.

Vor vier Jahren entdeckte der gebürtige Spreewälder dieses
Kulturdenkmal-Ensemble durch Zufall: Ihn interessierte, wohin die
Straße im Dorf von der B96 abgeht. Sofort faszinierte ihn das Areal,
die meisten Gebäude darauf waren marode und standen leer. Die letzten
Mieter zogen Ende der 1990er Jahre aus. Im Kopf entstanden sofort
Bilder, mit seinen Ideen steckte er auch die Verantwortlichen der
Brüder-Unität an.

«Für mich war es von Anfang wichtig, die Geschichte dieser Häuser
mitzunehmen und sie nicht zu entseelen. Das Schwesternhaus war zum
Beispiel für junge Mädchen wie ältere Damen Wohn- und Arbeitsraum und

gleichzeitig geistiges Zuhause», sagt Salomon. Ihre Arbeit begann die
Brüdergemeine in Kleinwelka bereits 1751. Von hier aus wurde zuerst
der Missions- und Besuchsdienst unter den Sorben in der Ober- und
Niederlausitz organisiert. 

Einer der ersten in der Kolonie vor den Toren der Stadt Bautzen war
der Schmiedemeister Nikolaus Schneider. Sein Nachfahre Helmfried
Klotke hat sich mit der Geschichte der Glaubensgemeinschaft in
Kleinwelka beschäftigt. «Ihren Ursprung hat die Brüdergemeine in
verfolgten böhmischen Glaubensflüchtlingen, denen Graf Nikolaus
Ludwig von Zinzendorf in der Nähe von Görlitz ab 1722 im heutigen
Herrnhut Asyl bot», erzählt der 86-Jährige. Neben Herrnhut entstanden

bald weitere Begegnungs- und Versammlungsorte.

Handwerksbetriebe wie eine Glockengießerei, eine Tabakmanufaktur oder
eine Seifensiederei sicherten der Gemeinschaft das Auskommen. Bekannt
sind die Herrnhuter durch ihre Missionarstätigkeit. Die Eltern
reisten in die Ferne, die Kinder blieben zuhause. Für sie entstanden
zwei Schulen. «Manche Mädchen und Jungen sahen ihre Eltern erst Jahre
später wieder», sagt Ortschronist Klotke. Er ist Mitglied der
Herrnhuter Brüdergemeine in Kleinwelka.

In den Schwesternhäusern soll der Überlieferung nach übrigens 1813
Napoleon eine Nacht verbracht haben. Solche Geschichten lieben und
sammeln Salomon und der Verein «Remise». «Deshalb wollen wir in der
alten Apotheke auch ein Lese- und Geschichtencafé einrichten», sagt
Salomon. Der Kultursommer dagegen ist schon Gegenwart. Im vergangenen
Jahr holte der 50-Jährige zwischen Juni und September erstmals
Musiker, Schauspieler und andere Künstler an den Wochenenden auf die
kleine Bühne in der Remise oder in den verwunschenen Garten und gab
dem Festival den Namen «Kultursommer».

Die Experimentierfreude hat sich mittlerweile weit über die
Dorfgrenzen - bei Publikum wie auch Künstlern - herumgesprochen. So
zählt der aktuelle «Kultursommer» zwischen Ende Juni und 10.
September 28 Veranstaltungen. Unter dem Motto «Große Freude» gibt es

Theater, Tanz, Stummfilm-Kino und Konzerte. Für 70 Zuschauer reichen
die Stühle. Manchmal wurde es schon sehr eng, etwa als die
Jazzmusikerin Pascal von Wroblewsky auftrat.

Auch ein zweites Projekt schreitet gut voran. Ins ehemalige Waschhaus
können schon bald die ersten Künstler einziehen, um auf Zeit in der
Region zu arbeiten. «Es braucht in der Oberlausitz mehr Freigeister,
mehr Impulse von außen. Es soll ein Kommen und Gehen entstehen», sagt
Salomon.

Bei der Finanzierung dieser Projekte helfen die Einnahmen aus den
Ferienwohnungen auf dem Areal wie auch Geld der Kulturstiftung
Sachsen, der Bundeskulturstiftung oder der Stadt Bautzen. Förderungen
sind auch über das Programm «LandKULTUR» des Bundesagrarministerium
s
beantragt. Für drei Gebäude auf dem Gelände soll zudem ein
kulturaffiner Investor gesucht werden. Das Schwesternhaus könnte so
zu einem Seminargebäude werden, Visionen hat der Kulturentwickler
genug. Doch jetzt werden erstmal wieder die Türen geschlossen.
Salomon geht in den Garten und wirft den Rasenmäher an - unter der
Birke mit dem Kronleuchter.