In Hundespucke auf der Suche nach Krankheitsursachen Von Andrea Barthélémy, dpa

In den USA läuft ein großes Wissenschafts-Mitmach-Projekt - für
Hunde. Forscher hegen Hoffnungen, mit Hundespeichel das genetische
Geheimnis bestimmter Krankheiten lösen zu können.

Washington (dpa) - Ein schwül-heißer Sommerabend in Washington. In
den Biergarten, Regenbogenfahnen-geschmückt und gleich neben der
Hochbahntrasse, strömen Hunderte von Menschen mit ihren Hunden. An
der Leine laufen die Stars des Abends. Sie heißen Minus, Mr. Bueno
oder Zenit und sind gekommen, um an einem großen Wissenschaftsprojekt
für Hunde teilzunehmen: Ihre Speichelproben sollen dabei helfen,
Verhaltensstörungen, psychische und neurologische Erkrankungen
aufzuklären - bei Hunden und vielleicht auch bei Menschen.

«Ich finde das Projekt super spannend», berichtet Jennifer, die mit
ihrem Mischling Minus (10) in der Schlange steht, um sich
registrieren zu lassen. Minus wartet schwanzwedelnd und legt
treuherzig den Kopf schief, so dass seine schneeweißen Augen zu sehen
sind. Er ist blind von Geburt an. «Ich möchte mehr darüber erfahren,

wo er herkommt», sagt Jennifer. Sie ist der ungewöhnlichen Einladung
der Initiative «Future Tense» gefolgt, die Zukunftsforschung und
Wissenschaft verknüpfen möchte - an diesem Tag durch neue Anwendungen
der Genforschung.

Seit Jahren bereits erforscht Elinor Karlsson, Direktorin am Broad
Institute des MIT, das Erbgut von Hunden. Sie sucht Hinweise darauf,
welche Gene für welche Auffälligkeiten verantwortlich sein könnten.
2015 rief sie dazu das Projekt «Darwin's Dogs» (Darwins Hunde) ins
Leben, bei dem schon 13 000 Vierbeiner mitmachen: mit ihrer
Speichelprobe und begleitenden Angaben der Besitzer zu
Verhaltensweisen, Auffälligkeiten oder Ticks. Auch an diesem Tag, als
Karlsson das Projekt in Washington vorstellt, kommen die Angaben
zahlreicher Hunde neu in die Datenbank hinzu.

Mit High-Tech-Methoden wird das Material dann auf Abweichungen in
bestimmten Regulations-Sequenzen der DNA durchsucht. «Wir hoffen,
dadurch auch neue Ansätze für die Entwicklung von Medikamenten für
Erkrankungen beim Menschen zu finden», sagt Karlsson.

Eine der Erkrankungen, die im Fokus der Forscher stehen, ist
Autismus. In den USA erhält heute eines von 68 Kindern die Diagnose
einer Autismus-Spektrum-Störungen (ASD, Autism Spectrum Disorder).
Die Betroffenen haben etwa Schwierigkeiten soziale Kontakte
aufzunehmen oder einen Hang zu stereotypen, sich wiederholenden
Bewegungen. Manche sind auch auf bestimmte Objekte oder Themen
fixiert. Bislang kann Autismus nur durch eine komplizierte Diagnose
von Psychiatern festgestellt werden, nicht durch einen DNA-Test.

Tierverhaltensforscher Nicholas Dodman (Tufts University) arbeitet
seit Jahren daran, eine Verbindung zu ähnlichen, repetitiven
Verhaltensmustern bei Hunden zu belegen. Während manche sich ständig
die Pfoten lecken, jagen Bull Terrier etwa häufig exzessiv ihrem
eigenen Schwanz hinterher. Einer Studie Dodmans zufolge wiesen die
Hälfte der mehr als 300 Bull Terrier Autismus ähnliche Störungen, wie

das Schwanz-Jagen und Kontaktstörungen zu Menschen oder anderen
Hunden auf.

In einer weiteren Untersuchung suchte er nach entsprechenden
Biomarkern - und fand heraus, dass autistische Kinder und die
betroffenen Hunde ähnliche erhöhte Werte der Hormone Neurotensin und
CRH aufweisen. Derzeit sucht Dodman zusammen mit Forschern des
National Human Genome Resarch Institute nach den zugrundeliegenden
Genen.

Auch Tierverhaltensforscher Clive Wynne (Arizona State University)
knüpfte sich bereits Hunde-Gene vor - allerdings aus einem ganz
anderen Grund. Er nutzt die Gen-Daten, um die Rasse eines Tieres zu
bestimmen. Vor allem Mischlingshunden würde oft eine falsche Rasse
zugeschrieben, was sich in Tierheimen als problematisch erweisen
könne. Denn die große Begeisterung vieler Amerikaner für
Tierheim-Hunde flaue oft ab, wenn der potenzielle Kandidat als Pit
Bull-Mischling angepriesen werde. «In nur zehn Prozent der Fälle
lagen die Tierheime mit ihren Beschreibungen richtig», berichtet
Wynne, der die Zuschreibungen mit Gen-Tests verglich, in Washington.

Wynne wirbt deshalb dafür, in Tierheimen die Mischlinge, deren
Charakter ebenso wie ihr Genpool bunt zusammengewürfelt sei, nur noch
individuell zu beschreiben: als «Fitness-Fanatiker» oder
«Schmusekissen».