Immer mehr Ältere im Krankenhaus - Ein gefährlicher Ort? Von Basil Wegener, dpa

Millionenfach kommen alte und sehr alte Menschen ins Krankenhaus -
Tendenz ständig steigend. Kritiker halten die Kliniken nicht immer
für den richtigen Ort für diese Patienten. Doch für die Krankenhäus
er
können Hochbetagte lukrativ sein.

Berlin (dpa) - Vor allem wegen besserer Medizin werden die Menschen
immer älter. Trotzdem werden die Hochbetagten nicht immer optimal
behandelt - ein Überblick:

Wie entwickelt sich die Lebenserwartung in Deutschland?

Sie steigt seit den 1980ern stetig. Mädchen haben bei der Geburt laut
Statistischem Bundesamt mehr als 83 Jahre vor sich. Für neugeborene
Jungen beträgt die Lebenserwartung mehr als 78 Jahre. Damit haben die
Mädchen innerhalb des letzten Jahrzehnts rund eineinhalb Jahre
gewonnen - Jungen sogar rund zweieinviertel Jahre.

Warum werden die Menschen immer älter?

Hauptursache ist Experten zufolge der medizinische Fortschritt.
Häufige Krankheiten wie Herzinfarkt, Krebs und Schlaganfall führen
oft nicht mehr so schnell wie früher zum Tod. Eine gute Bildung geht
in der Regel mit höherer Lebenserwartung einher, Arbeitslosigkeit
besonders bei Männern mit einer geringeren.

Bringt bessere Medizin Wohlbefinden bis zuletzt?

Bei Weitem nicht immer. Beispiel Krebs: Zwar gibt es immer wieder
neue Medikamente. Doch sie bringen oft nur eine Verlängerung des
Überlebens zunächst ohne Fortschreiten der Krankheit um wenige
Monate. Betroffen sind überwiegend Ältere. So waren etwa von den 463
000 Barmer-Versicherten mit Tumor-Diagnose 2015 rund 367 000
mindestens 60 Jahre alt. Die Krebsmittel werden dabei immer teurer.

Wie viele Hochbetagte kommen ins Krankenhaus?

Bei den 70-Jährigen mit jeweils mehreren Krankheiten gab es seit 2006
einen Anstieg um 80 Prozent auf 2 Millionen. Nach einem neuen
Barmer-Krankenhausreport stieg die Zahl bestimmter komplexer
stationärer Reha-Behandlungen für Schwerkranke in dieser Zeit sogar
um 180 Prozent - auf 222 600.

Was ist von diesen speziellen Reha-Behandlungen zu halten?

Sie können sinnvoll sein. Doch die Autoren des Barmer-Reports haben
mehrere Hinweise gefunden, die stark zweifeln lassen, dass sie besser
sind als eine herkömmliche Reha. So bringt die Komplex-Reha in der
Klinik dem Krankenhaus pro Patient rund 1000 Euro mehr als eine
klassische Reha. Auch dass sie oft 14 Tage dauert, macht die Kasse
stutzig - genau dann erreicht die Klinik eine höhere
Vergütungspauschale. Patienten werden nach so einer speziellen
Klinik-Reha auch öfter zum Pflegefall als nach einer klassischen
Reha.

Gibt es regionale Unterschiede?

Ja. So bekommen nur 4,3 Prozent der Geriatrie-Patienten in den
bayerischen Kliniken eine Komplex-Reha-Behandlung, 4,4 Prozent in
Sachen und 4,6 Prozent in Baden-Württemberg - aber 24,3 Prozent in
Hamburg, 20,2 Prozent in Berlin und 19,3 Prozent in
Schleswig-Holstein.

Welche Verbesserungen fordern Experten bei den Kliniken?

«Ältere Patienten brauchen mehr Zeit, die in der durchökonomisierten

Krankenhauslandschaft oft fehlt», sagt die Präsidentin des
Sozialverbands VdK Deutschland, Ulrike Mascher. Besser
geschulte Ärzte, mehr Pflegekräfte und ein guter Kliniksozialdienst
seien gefragt. Betroffene sind Barmer zufolge zudem in größeren
Häusern mit mindestens fünf Fachabteilungen besser aufgehoben - hier
seien die Behandlungen erfolgreicher. Die Deutsche Stiftung
Patientenschutz fordert finanzielle Anreize für eine gute Versorgung
älterer Patienten. Vor allem für viele Demenzkranke sei das
Krankenhaus heute «ein gefährlicher Ort», kritisiert ihr Vorstand
Eugen Brysch.

Wie reagieren die Krankenhäuser?

Ihr Dachverband betont die Notwendigkeit wohnortnaher Versorgung.
«Denn der soziale Kontakt und der Besuch durch Familien sind wichtig
für die Genesung», sagt der Hauptgeschäftsführer der Deutschen
Krankenhausgesellschaft, Georg Baum. «Nichtsdestotrotz ist die
schnelle und lückenlose Weiterleitung der Patienten an den
Rehabereich von zentraler Bedeutung.» Dass die Kliniken die
Komplex-Reha vor allem aus finanziellen Gründen ausgeweitet hätten,
weist Baum zurück.

Was fordern Experten noch?

SPD-Fraktionsvize Karl Lauterbach spricht sich für mehr und besser
bezahlte Hausärzte aus. Denn das Risiko, an Demenz zu erkranken,
erhöhe sich, wenn ältere Patienten fern von zu Hause behandelt
würden, sagte er der «Rheinischen Post». Auch Barmer-Chef Christoph
Straub sagt, ältere Patienten sollten möglichst lang im häuslichen
Umfeld bleiben und dort auch ihre Beweglichkeit erhalten können.
Dafür seien eine durch den Hausarzt koordinierte Versorgung nötig -
und ambulante geriatrische Fachteams.