Mangelware Impfstoff: Immer wieder Engpässe bei der Versorgung Von Uta Knapp, dpa

Nur wenige große Pharmakonzerne beherrschen den Markt für Impfstoffe.
Trotz modernster Verfahren kommt es auch in Deutschland seit Jahren
immer wieder zu Lieferengpässen. Aktuell betroffen ist der Impfstoff
gegen Polio (Kinderlähmung).

Essen (dpa) - Bedauerndes Schulterzucken bei einer Essener Ärztin für
Reisemedizin: «Für Sie haben wir keinen Impfstoff mehr». Die
58-jährige Patientin wird ohne Auffrischung ihres Impfschutzes gegen
Polio (Kinderlähmung) die lange geplante Fernreise antreten müssen.
Auch ein anschließender Besuch beim Hausarzt verlief ergebnislos.

«Engpässe bei der Versorgung mit einzelnen Impfstoffen gibt es immer
wieder», berichtet Isabelle Bekeredjian-Ding, zuständige
Abteilungsleiterin beim Paul-Ehrlich-Institut aus dem hessischen
Langen. Das Bundesinstitut für Impfstoffe und biomedizinische
Arzneimittel führt im Auftrag des Bundesgesundheitsministerium seit
Oktober 2015 Buch über derartige Lieferengpässe.

Seit etwa Mitte Juni gibt es einen Engpass bei Polio-Impfstoffen,
bestätigt die Expertin. Hintergrund sei ein massiver Anstieg der
weltweiten Nachfrage und eine Umstellung der Produktion. Bei
Versorgungsproblemen sollen zuerst Kinder und Jugendliche geimpft
werden, heißt es in den Empfehlungen der Ständigen Impfkommission
(STIKO), die auf den Seiten der Lieferengpassliste verlinkt sind.
Erwachsene mit einer vorhandenen Grundimmunisierung müssten zunächst
verzichten.

Betroffen von Lieferengpässen seien in der Vergangenheit aber auch
andere Impfstoffe gewesen, etwa gegen und Keuchhusten (Pertussis).
Das Fehlen von bestimmten Reiseimpfungen etwa gegen Typhus oder
Gelbfieber könne im schlimmsten Fall zum Einreiseverbot führen.

Nach Recherchen des Fachmagazins «Ärzte Zeitung» beherrschen nur
wenige Pharmakonzerne, darunter das britische Unternehmen
GlaxoSmithKline (GSK), rund 95 Prozent des Impfstoff-Weltmarktes.
«Dass in naher Zukunft weitere große Pharmahersteller hinzukommen,
ist nicht zu erwarten», stellt die Zeitung fest. Auch habe sich noch
kein Hersteller von Generika (Nachahmerpräparaten) an die Produktion
herangewagt.

Weltweit sei der Bedarf an Impfstoffen «massiv angestiegen»,
berichtet Bekeredjian-Ding. In Deutschland komme es immer wieder zu
Engpässen, die wenige Wochen oder auch einige Monate anhielten. Ein
Lieferengpass beim Hersteller bedeute dabei nicht automatisch, dass
der Impfstoff bei Großhändlern, Apotheken oder Arztpraxen nicht mehr
vorhanden sei.

Für die Lieferengpässe werden vielfältige Gründe aufgeführt. «I
n der
Pharmabranche gibt es attraktivere Produkte, die weniger aufwendig in
der Herstellung, Qualitätskontrolle und Logistik sind», stellte etwa
das «Deutschen Ärzteblatt» in diesem Frühjahr fest. Die Gewinnmarge
n
seien bei Impfstoffen zudem niedriger, weil sie nur ein- bis viermal
im Leben und nicht mehrmals täglich verabreicht würden.

Die Pharmaindustrie hält jedoch dagegen: Allein drei neue
Impfstoffwerke seien in Deutschland in Burgwedel bei Hannover,
Marburg und Singen derzeit im Ausbau, berichtet der Geschäftsführer
Forschung des Verbands Forschender Arzneimittelhersteller, Siegfried
Throm. «Wir sehen doch, dass Impfstoffhersteller groß investieren«,
meint er. Die Herstellung sei jedoch eine «extrem komplexe
Angelegenheit». Wirksamkeit, Verträglichkeit und Sicherheit hätten
absolute Priorität.

Weltweit seien die Impfstoffkapazitäten jedoch beschränkt, so dass
der Ausbau nicht Schritt halten könne. Von einem Ausbruch in der
Ukraine im Jahr 2015 abgesehen, habe es in Europa seit 2002 keine
Polio Fälle mehr gegeben. In Deutschland habe es die letzten Fälle
1992 gegeben. «Wenn die Ausrottung erfolgreich ist, braucht man
einige Jahre danach keinen Polio-Impfstoff mehr», sagt Throm.

Für die Hersteller weist der britische Pharmakonzern GlaxoSmithKline
(GSK) darauf hin, dass in nur wenigen Fällen eine Impfung unmittelbar
erforderlich sei. Auffrischungsimpfungen gegen Kinderlähmung seien
tatsächlich nur bei Reisen in betroffene Länder wie Nigeria,
Afghanistan oder Pakistan medizinisch wirklich notwendig.