Warum es manche Menschen mit Neurodermitis im Sommer besonders juckt Von Marco Krefting, dpa

Für viele Neurodermitis-Patienten bedeutet der Sommer Entspannung:
Die Haut muss nicht mehr mit trockener Luft in geheizten Wohnungen
kämpfen. Der Juckreiz lässt nach. Bei einigen von ihnen aber könnte
jetzt die Maschinerie in den Zellen erst so richtig anspringen.

München (dpa) - Immer wieder juckt es Menschen mit Neurodermitis in
den Fingern, sich an Hautrötungen und Ekzemen zu kratzen. Für manche
von ihnen kommt es gerade jetzt im Sommer richtig dicke: Während der
Pollenflugzeit und im Sonnenschein kann der Ausschlag extrem werden.
«In den Hautzellen wird eine ganze Maschinerie angeworfen, das
sogenannte Inflammasom», erklärt Claudia Traidl-Hoffmann.

Die Professorin leitet das Institut für Umweltmedizin am Helmholtz
Zentrum München und hat herausgefunden, dass einige
Neurodermitis-Patienten besonders hart zu kämpfen haben, wenn Pollen
und UV-B-Strahlung - die energiereicheren Sonnenstrahlen - zusammen
auf den Körper treffen. «Die Haut ist wie ein Sieb», sagt
Traidl-Hoffmann. Pollen dringen dadurch ein und stoßen eine Art
Dominoeffekt an. 

Das Inflammasom, ein Eiweißkomplex, steckt in menschlichen Zellen und
gehört zum angeborenen Immunsystem. Die Pollen schütten Substanzen
aus, die an menschliche Zellrezeptoren binden. Das Inflammasom
mancher Neurodermitiker löst eine Entzündungsreaktion aus, die durch
UV-B-Strahlen noch verstärkt wird.

«Das ist eine Signalkette von einem Königreich zum anderen», versucht

Traidl-Hoffmann die Abläufe zu erläutern. Auf der einen Seite gebe es
das Königreich der Pflanzen, auf der anderen Seite das des Menschen.
Pflanzeninhaltsstoffe binden an menschliche Rezeptoren und
überbrücken so diese zwei Reiche - mit teils verheerenden Folgen für

den Menschen. Dabei mache es keinen Unterschied, ob es sich
um Birken- und Gräserpollen handelt oder um noch aggressivere von der
Ambrosia.

Rund 10 bis 15 Prozent der Neurodermitis-Patienten zeigten die
Auffälligkeiten, sagt die Institutsdirektorin. «Das versuchen wir
gerade genauer zu definieren.» Dafür sei von der Christine Kühne
Stiftung ein internationales Neurodermitisregister aufgesetzt worden
(ProRaD), bei dem Betroffene in Bonn, Augsburg und der Schweiz einmal
jährlich gründlich untersucht werden. «Wir suchen nach Biomarkern,
die uns vorhersagen können, welche Patienten auf Umweltfaktoren wie
zum Beispiel Pollen und UV reagieren», so Traidl-Hoffmann.

Uwe Schwichtenberg, Bremer Landesvorsitzender des Berufsverbands der
Deutschen Dermatologen, will vorschnelle Aufregung
vermeiden: Geforscht worden sei bislang nur an Zellkulturen. «Das ist
Grundlagenforschung und nicht eins zu eins auf den Menschen
übertragbar.» Beispielsweise sei nicht nachgewiesen, dass eine
Hypersensibilisierung auf Pollen sich auch positiv auf die
Neurodermitis auswirke.

Jedoch wisse man inzwischen, dass Hausstaubmilben direkten Einfluss
auf die Krankheit haben können, sagt Schwichtenberg. «Vorher galt die
Annahme, dass das mittelbare Auswirkungen sind: Geht es mir zum
Beispiel wegen der Milben oder Heuschnupfen schlecht, geht es auch
der Haut schlecht.»

Gut vier Millionen Menschen in Deutschland sind als Neurodermitiker
erfasst, wie Thomas Schwennesen vom Deutschen Neurodermitis Bund
sagt. Sie müssten mindestens ein- bis zweimal pro Jahr zum
Dermatologen. Hinzu kämen unzählige Patienten, die kleinere, juckende
Stellen mit Cremes und ohne ärztliche Hilfe in den Griff bekommen.

Für den Sommer sei es eigentlich typisch, dass sich die Situation für
Menschen mit Neurodermitis verbessert. «Der Stress als wichtiger
Faktor nimmt ab, man geht entspannt in die Urlaubszeit», sagt
Schwennesen. Ab April/Mai laufe zudem die Heizung nicht mehr, die
Luftfeuchtigkeit steige wieder, die Haut sei nicht mehr
ausgetrocknet. Ähnlich äußert sich auch Dermatologe Schwichtenberg
und nennt die Forschungsergebnisse der Münchner um Traidl-Hoffmann
«überraschend» und «unerwartet».

Zumal UV-Licht auch in der Therapie eingesetzt werde. Dabei werde
meist die schwächere UV-A-Strahlung genutzt. Diese wirke
immunsuppressiv, hemmt also unerwünschte Reaktionen des Immunsystems.
«Wahrscheinlich hat UV-Licht also zwei Effekte», sagt Schwichtenberg.
Womöglich überwiegen die positiven Folgen die
Inflammasom-Aktivierung.

Um sich vor dem Mix aus UV-Strahlung und Pollen adäquat zu schützen,
empfiehlt Medizinerin Traidl-Hoffmann guten Lichtschutz - der beste
sei Kleidung. «Patienten sollten auch darauf achten, dass sie
vernünftig eingecremt sind.» Die Creme bilde eine Barriere, durch die
Pollen nicht in die Haut dringen können, und stelle somit die sowieso
gestörte Hautbarriere von Neurodermitikern wieder her. Auch hier
klingt Schwichtenberg entspannter: «Als niedergelassener Arzt würde
ich meinen Patienten erst mal gar nichts empfehlen. Man muss gucken,
wie die Folgen in echt - nicht auf wissenschaftlicher Ebene - sind.»