Trendwende bei den Krankenkassen - Wie sich die Zuwanderung auswirktVon Basil Wegener, dpa

Entwarnung für die Beitragszahler, Verjüngung, positive
Finanzentwicklung: Den Krankenkassen geht es im Wahljahr glänzend.
Dahinter steckt auch ein Mitgliederboom wegen der Zuwanderung.

Berlin (dpa) - Die düsteren Trends der Krankenversicherung erschienen
bisher fest zementiert: Die Versicherten werden immer älter. Und es
wird immer teurer. Jetzt melden die Krankenkassen eine Trendwende.
Wie kommt das? Die wichtigsten Fragen im Überblick:

Was ist bei den gesetzlichen Krankenkassen passiert?

In den vergangenen Jahren warnten die Kassen immer wieder vor
steigenden Beiträgen. 2018 dürften die Kassenbeiträge aber im dritten
Jahr in Folge stabil bleiben. «Wir haben festgestellt: Alles was wir
gesagt haben, stimmt irgendwie nicht», sagt die Chefin des
Kassen-Spitzenverbands, Doris Pfeiffer. «Die Einnahmen sprudeln und
die Ausgaben wachsen nicht so stark.» Der Zusatzbeitrag, den die
Mitglieder alleine schultern müssen, dürfte 2018 abermals im Schnitt
bei 1,1 Prozent liegen. Er kommt zu dem von Arbeitgebern und -nehmern
finanzierten Beitrag von 14,6 Prozent hinzu. 

Warum ist die Lage der Kassen besser als gedacht?

Die gute konjunkturelle Entwicklung, hohe Tariflohnsteigerungen und
Rekordbeschäftigung lassen die Einnahme der Krankenversicherung
sprudeln. Laut Kassenverband verbuchten die Krankenkassen und ihre
Geldsammel- und -verteilstelle, der Gesundheitsfonds, 2016 ein Plus
von 757 Millionen Euro. Die Einnahmen pro Versichertem stiegen
stärker als die Ausgaben. Einen Hauptgrund der guten Entwicklung
sehen die Kassen in hunderttausenden neuen Versicherten.

Wie ist die Situation bei den neuen Krankenversicherten?

Allein 2016 kamen rund 484 000 Männer und 314 000 Frauen neu in eine
gesetzliche Kasse - Arbeitsmigranten aus der EU, anerkannte
Flüchtlinge sowie ehemals Privatversicherte. «Wir stellen in den
letzten vier Jahren fest, dass wir eine deutliche Zuwanderung und
Verjüngung haben», sagt Pfeiffer. Vielfach handele es sich um junge
Leute aus Spanien, Portugal oder Griechenland, die nach Deutschland
gekommen seien, um hier zu arbeiten. Die Neuzugänge verursachten
deutlich niedrigere Kosten, je nach Alter etwa zwei Drittel bis
weniger als die Hälfte der Kosten der schon länger gesetzlich
Krankenversicherten. Die Krankenversicherten insgesamt seien im
statistischen Schnitt zuletzt auch nicht mehr älter geworden.

Sind Flüchtlinge für die Krankenkassen generell entlastend?

Nein. In den nun vom Kassenverband genannten Zahlen sind keine
Hartz-IV-Empfänger enthalten. Derzeit zählt die Bundesagentur für
Arbeit knapp 452 000 erwerbsfähige Hartz-IV-Bezieher aus den
Asyl-Hauptherkunftsländern, aus dem Bereich Flucht/Migration
insgesamt 513 600. Jeder dritte, der 2013 gekommen ist, hatte im
vergangenen Jahr einen Job. Bei denen, die 2015 kamen, sind es nur 10
Prozent. Die Kassen beklagen insgesamt, dass sie für
Hartz-IV-Bezieher nur eine Monatspauschale von jeweils 97 Euro vom
Staat erstattet bekämen - dies sei «nicht annähernd ausgabendeckend».

Wieviele Mitglieder und Versicherte haben die Kassen insgesamt?

Mit 55,5 Millionen zahlenden Mitgliedern verzeichnet die
Krankenversicherung in diesem Jahr einen neuen Rekord. Rund 71
Millionen Menschen sind - nimmt man die beitragsfrei mitversicherten
Angehörigen dazu - versichert.

Warum kosten die Neuzugänge weniger?

Laut Verbandschefin Pfeiffer liegt das wohl daran, dass sich vor
allem gesundheitlich Fitte zum Arbeiten nach Deutschland aufmachen.
Aber es könne auch sein, dass sie sich mit der Zeit an die gängigen
Verhaltensmuster im Land anpassen - und dann öfter als zu Anfang zum
Arzt oder ins Krankenhaus gehen.

Ist für die Beitragszahler Entwarnung angesagt?

Für 2018 schon - längerfristig aber nicht. Der Kassenverband hält
sich mit Zukunftsprognosen zurück. Der SPD-Gesundheitsexperte Karl
Lauterbach sagt: «Das ist die Ruhe vor dem Sturm. In Zukunft werden
die Kosten stetig steigen.» Allein eine Kostenexplosion bei
Krebsmedikamenten dürfte nach seiner Prognose in den kommenden 15
Jahren Mehrausgaben von rund 30 Milliarden Euro verursachen.
Kostensteigerungen gebe es auch in anderen Bereichen. So sei bei den
Krankenhäusern eine «Marktbereinigung» nötig.