Mehrheit für Bürgerversicherung - Streit über starkes Kostenplus

Die Gesundheitskosten dürften weiter stark steigen - doch wer soll
das bezahlen? Zwei Monate vor der Wahl streiten CDU und SPD über die
Milliarden für die Krankenkassen. Die Kassen warnen vor Willkür.

Berlin (dpa) - Die Mehrheit der Bundesbürger ist nach einer neuen
Umfrage für die Einführung einer Bürgerversicherung. Zwei Monate vor

der Bundestagswahl entzündete sich an der künftigen Finanzierung
steigender Gesundheitskosten ein Streit zwischen CDU und SPD. Die
gesetzlichen Krankenkassen mahnten die Politik, die aus ihrer Sicht
teils willkürliche Finanzierung der Kassen zu stabilisieren.

Gut 60 Prozent der Befragten sind dafür, eine Krankenversicherung für
alle zu schaffen, wie die Insa-Umfrage im Auftrag der «Bild»-Zeitung
(Mittwoch) ergab. SPD und Grüne wollen im Fall eines Sieges bei der
Bundestagswahl eine Bürgerversicherung schaffen, in die auch Beamte,
Selbstständige und Freiberufler eintreten können.

Gesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) kritisierte die Pläne und
warf der SPD vor, Neiddebatten zu führen. Dies gehe an der Realit
ät
völlig vorbei, sagte er der «Passauer Neuen Presse» (Mittwoch).
SPD-Fraktionsvize Karl Lauterbach hielt dagegen. «Wir führen keine
Neiddebatten», sagte er der Deutschen Presse-Agentur.

Der Umfrage zufolge stimmten bei den Befragten, die weniger als 1000
Euro monatlich verdienen, 54 Prozent einer Bürgerversicherung zu. Bei
jenen mit 3000 bis 4000 Euro pro Monat sind es 66 Prozent.

Gesundheitsexperte Lauterbach sagte, die SPD wolle die Private
Krankenversicherung nicht abschaffen, sondern Privatversicherten die
Wahl geben, in die Bürgerversicherung zu wechseln. Arbeitgeber und
-nehmer sollten wieder gleiche Beiträge zahlen und nicht - wie heute

- die Arbeitnehmer über die Zusatzbeiträge mehr. Die Arzthonorare
sollten angeglichen werden. Dann würde die heutige Bevorzugung der
Privatversicherten durch höhere Arzthonorare beendet, sagte er.

«In Deutschland warten immer mehr gesetzlich Versicherte auf einen
Facharzttermin», so Lauterbach. Denn Fachärzte ließen sich wegen
höherer Honorare vor allem dort nieder, wo viele Privatversicherte
wohnen. Eine Bürgerversicherung würde Lauterbach zufolge
entgegenwirken. Nötig sei sie auch, um stark steigende Ausgaben etwa
durch eine Explosion der Arzneikosten zu schultern.

Gröhe warnte: «Die von der SPD vorgeschlagene Zwangsvereinigung von
gesetzlicher und privater Krankenversicherung löst keine der
Herausforderungen, vor denen unser Gesundheitswesen steht: etwa mehr
Fachkräfte zu gewinnen, die Chancen der Digitalisierung noch stärker
zu nutzen und medizinischen Fortschritt auch weiterhin allen Menschen
zugänglich zu machen.»

Der Spitzenverband der Krankenkassen forderte für die nächste
Wahlperiode, den steuerfinanzierten Bundeszuschuss an die Kassen zu
dynamisieren. «Es darf nicht mal rauf und mal runter gehen», sagte
Verbandschefin Doris Pfeiffer bei einer Veranstaltung vor
Journalisten in Nauen bei Berlin. Stattdessen müsse der
Bundeszuschuss an die Kosten für versicherungsfremde Leistungen wie
Mutterschaftsgeld oder Kinder-Mitversicherung gekoppelt werden. 2017
fließen 14,5 Milliarden Euro vom Bund an die Kassen. Der jährliche
Bundeszuschuss wird derzeit aus Steuermitteln pauschal für
versicherungsfremde Leistungen an die gesetzliche Krankenversicherung
gezahlt.

Uwe Klemens von der Verwaltungsratsspitze des Kassenverbands warf der
Bundesregierung vor, in diesem Jahr willkürlich 1,5 Milliarden Euro
aus dem Geldpolster des Gesundheitsfonds entnommen zu haben, um ein
Ansteigen der Zusatzbeiträge 2018 zu verhindern. Dies habe die
Regierung allein aus Wahlkampfgründen gemacht, sagte Klemens. Der
Gesundheitsfonds ist eine Geldsammel- und -verteilstelle.

Grüne und Linke sehen sich durch die Bürgerversicherungsumfrage
bestätigt. «Die Zweiklassengesellschaft in der Renten- und
Krankenversicherung gefährdet die Stabilität des Sozialstaats», sagte

Grünen-Chefin Simone Peter. Der Linken-Vorsitzende Bernd Riexinger
sagte: «Die Mehrheit der Menschen in Deutschland hat die Nase voll
von der Zwei-Klassen-Medizin.»