Diazepam für Delfine: Streit um artgerechte Haltung in Delfinarien Von Bernard Darko, dpa

Delfine wecken bei Menschen starke Emotionen. Ein Nachzuchtverbot für
Zoos in Frankreich lässt Gegner von Delfinarien jubeln - und kurbelt
den Streit um artgerechte Haltung der Tiere an. Befürworter halten
dagegen, gewinnen der Diskussion aber auch Positives ab.

Nürnberg (dpa) - Im Nürnberger Tiergarten läuft eine Show mit
Seltenheitswert in Deutschland: Ein Pfleger gibt ein Zeichen, lockt
mit Fisch - und schon setzt sich die Delfinschar in Bewegung. Wie
Pfeile schießen zwei Große Tümmler mehrere Meter in die Höhe und
planschen mit den Schnauzen voran ins Nass zurück. Wenig später
tänzelt ein Delfin auf den Schwanzflossen gekonnt auf dem Wasser, aus
der Zuschauermenge ist Johlen zu hören, vor allem von den Kleinen.

Als fürs Tierwohl notwendige Präsentationen bezeichnet die Zooleitung
die Shows. Für Gegner der Delfinhaltung sind sie hingegen eine Tortur
für die Tiere. Zu beengt seien Delfinarien, überhaupt seien die
äußerst sozialen Meeressäuger nicht artgerecht zu halten, klagen
Tierschützer. Befürworter der Delfinhaltung sehen in den Anlagen
dagegen einen wichtigen Beitrag zu Artenschutz und Forschung.


Seit Jahren schon wogt der hochemotionale Streit, und es scheint, als
bekämen die Kritiker Oberwasser. In Deutschland gibt es nach etlichen
Schließungen neben der Nürnberger Anlage noch ein weiteres
Delfinarium in Duisburg. Und in Frankreich wurde jüngst die Nachzucht
von Delfinen und Orcas in Gefangenschaft verboten.

Der Nürnberger Tiergartenchef Dag Encke kann darüber nur den Kopf
schütteln. Der Biologe hat eine Vermutung, wie es zu der Maßnahme im
Nachbarland kam. Die noch im Mai als Umweltministerin amtierende
Ségolène Royal habe wohl von einer Delfinschutzorganisation gehört,
dass Delfine in Deutschland unter Drogen gesetzt würden und nicht
anders zu halten seien.

Dabei stimme das gar nicht, betont Encke. «Tiere in den Delfinarien
werden medizinisch behandelt, was völlig normal ist.» Ihnen werde
unter anderem Diazepam gegeben - das auch unter dem Namen Valium
gehandelte Präparat wird als Psychopharmakon gelistet. Meist diene
das Mittel der Appetitanregung. Das helfe, wenn dem Tier jeden Tag
ein Medikament verabreicht werden müsse, das über den Verdauungstrakt
aufgenommen wird.

Bei einer höheren Dosis würden die Tiere entspannter, bekämen die
sogenannte «Rosa Brille», sagt Encke. Das helfe, wenn sich «ein
Konflikt zwischen zwei Tieren hochgepuscht» habe. Und schließlich
gebe es bei hohen Dosen die Sedierung - vor Operationen oder
Transporten in andere Einrichtungen. Eine traumatische Erfahrung sei
ein solcher Transport für die Tiere aber nicht, versichert Encke.
«Tiere sind es ja gewohnt, in Bedrängnis zu geraten, und sobald die
Bedrängnis aufhört, verhalten sie sich wieder normal.»

Für Tanja Breining von der Tierrechtsorganisation Peta ist allerdings
nichts normal am Umgang mit den Delfinen. Gerade die Medikamentengabe
zum sogenannten Social Calming - sinngemäß soziale Ruhigstellung -
sieht die Meeresbiologin kritisch. Denn in der Natur könnten Delfine
ausweichen, sich ihre Artgenossen aussuchen und seien nicht
gezwungen, mit jemandem zusammenzuleben, mit dem sie nicht
zurechtkämen. «Die werden quasi hier zwangsvergesellschaftet»,
kritisiert Breining mit Blick auf die Nürnberger Delfinlagune.

Dabei hätten Wissenschaftler bei Delfinen ein Selbstbewusstsein
nachgewiesen. Das bedeute, dass sie sich ihrer Gefangenschaft bewusst
seien und besonders darunter litten, sagt Breining. Delfine in
Freiheit hätten wesentlich mehr Bewegungsspielraum - sie könnten
mehrere Kilometer am Tag schwimmen und tief tauchen. Vor allem
kritisiert Peta die Kargheit der Becken. Im Delfinarium gebe es nur
Kacheln, Beton und Eintönigkeit, in freier Wildbahn aber Sand, Felsen
und andere Tiere. «Ein Leben in Freiheit ist immer besser als ein
Leben in Gefangenschaft», findet Breining. Daher begrüße sie die
Entscheidung in Frankreich.

Zoodirektor Encke kennt die Argumente der Haltungsgegner - und sieht
sich in einem Marathonlauf, der noch nicht entschieden sei. «Der
Vorteil einer solchen Diskussion ist, dass sie uns Schub gibt in der
Entwicklung.» Der Tiergarten Nürnberg habe etwa im Sommer 2011 den
Ausbau des Wassergeheges zu einer großen Delfinlagune mit mehreren
Becken abgeschlossen. Das hätte sich politisch nie durchsetzen
lassen, wenn es vorher den gesellschaftlichen Druck nicht gegeben
hätte, meint Encke.

Den Druck erhalten Aktivisten um Tanja Breining weiter aufrecht. Die
Delfin-Kampagne von Peta rufe die Zoos auf, die in Gefangenschaft
gehaltenen Meeressäuger in Auffangstationen im Meer zu überführen,
berichtet sie. Eine solche Auffangstation könnte es auf der
griechischen Insel Lipsi geben, der dortige Bürgermeister und
Stadtrat hätten bereits zugestimmt. Nötig seien auch größere
Meeresschutzgebiete, in denen die Tiere artgerecht und unbehelligt
von Fischerei leben könnten.

Klar ist: Die Delfinhaltung in Deutschland hat keinen einfachen
Stand. Seit ihren Anfängen im Jahr 1965 gab es insgesamt zehn
Delfinhaltungen, davon drei in wissenschaftlich geleiteten Zoos, wie
aus Daten des Verbands der Zoologischen Gärten (VdZ) hervorgeht.
Übrig geblieben sind noch zwei Delfinarien.

VdZ-Geschäftsführer Volker Homes betont dennoch: «Aus umfangreicher
Forschung in den letzten Jahren ziehen die Zoologischen Gärten den
Schluss, dass man die Delfine unter tiergerechten Bedingungen halten
kann.» Und die Einrichtungen passten sich an den Stand der Forschung
an, sagt er: «Wenn man Bilder sieht von der Delfinhaltung in Duisburg
vor 30 Jahren - mit so einem Delfinarium würde heute niemand mehr
durchkommen.»