Angst vor Hochspannung - berechtigt oder unnötig? Von Teresa Dapp, dpa

Wo Stromtrassen entstehen, gibt es oft Widerstand der Anwohner.
Kritiker fürchten, dass starke elektrische und magnetische Felder der
Gesundheit schaden. Bewiesen ist das nicht. Mehr als 30 neue Projekte
sollen nun die Debatte versachlichen - der Energiewende zuliebe.

Berlin (dpa) - Es knistert und summt unter der Hochspannungsleitung.
Viele Menschen empfinden das als unangenehm, manchen macht es Angst.
Ist es gefährlich, nahe an einer solchen Leitung zu wandern, zu
spielen, zu arbeiten oder sogar zu wohnen? Bisher weiß man darüber zu
wenig, findet das Bundesamt für Strahlenschutz, und schiebt mehr als
30 neue Forschungsprojekte an.

«Wir sind überzeugt, dass wir alle gut gesichert sind durch die
gesetzlichen Regelwerke», sagt Amtschefin Inge Paulini. Bisher seien
keine negativen Folgen nachgewiesen. Es gebe aber Verdachtsmomente,
die zu Sorgen in der Bevölkerung führten. «Unser Bestreben ist die
Information aller Beteiligten auf einer sachlichen Grundlage»,
erklärt Paulini. Rund 18 Millionen Euro dürfte die Forschung kosten,
bisher steht als Finanzierer das Bundesumweltministerium fest.

Hinter der Initiative steht auch eine wirtschaftliche
Notwendigkeit: Um die Energiewende zu schaffen, braucht Deutschland
Tausende Kilometer neuer Stromleitungen, die Ökostrom in alle Ecken
der Republik bringen. Sowohl Wechselstrom-Hochspannungsleitungen, wie
es sie schon lange gibt, als auch neue Gleichstrom-Leitungen
(HGÜ-Leitungen), die «Strom-Autobahnen» Südlink und Südostlink vo
n
Norden nach Süden. Und das geht nur mit den Bürgern gemeinsam.

Wieso könnten Stromleitungen ein Gesundheitsrisiko sein?

Wo Strom fließt, entstehen elektrische und magnetische Felder. Auch
in Lebewesen gibt es elektrische Ströme, etwa in den Nerven und im
Herzen. Äußere elektrische und magnetische Felder können mit denen im

Körper wechselwirken oder zusätzliche Felder erzeugen. Überschreiten

die äußeren Felder bestimmte Schwellenwerte, können sie die
Gesundheit akut gefährden und etwa Kammerflimmern auslösen. Es gelten
allerdings Grenzwerte, die das verhindern sollen.

Welche Risiken gibt es im Alltag dann?

Es gibt Studien, die auf ein erhöhtes Auftreten neurodegenerativer
Krankheiten wie Alzheimer oder ALS hindeuten, wenn Menschen - etwa
beruflich - sogenannten niederfrequenten Feldern ausgesetzt sind.
Diese gibt es rund um Wechselstrom-Hochspannungsleitungen, aber auch
im häuslichen Bereich. Andere Studien weisen darauf hin, dass
Magnetfelder das Leukämie-Risiko bei Kindern erhöhen können. Die
internationale Agentur für Krebsforschung (IACR) hat solche Felder
als «möglicherweise krebserregend» eingestuft. Zudem gibt es
Menschen, die Beschwerden wie Kopfschmerzen oder Müdigkeit auf
elektrische und magnetische Felder in ihrer Umwelt zurückführen.

Was soll jetzt erforscht werden?

Die vorliegenden Studien beantworten sehr viele Fragen nicht - und es
gibt andere Forschungsarbeiten, die ihnen widersprechen. Hier sollen
neue Projekte Klarheit bringen. Aber nicht nur die Auswirkung der
bereits üblichen Wechselstrom-Leitungen soll Thema sein, sondern auch
mögliche Risiken der neuen Gleichstrom-Leitungen. Dabei geht es zum
Beispiel um Luftmoleküle und Teilchen, sie sich an Leitungen im
Freien elektrisch aufladen und vom Wind als «Wolken» bewegt werden
können. Die Frage ist, ob elektrisch aufgeladene Luftschadstoffe vom
Körper verstärkt aufgenommen werden und damit gefährlicher werden.

Bringt es etwas, die neuen «Strom-Autobahnen» zu vergraben?

Je nachdem. «Wenn Sie direkt über der Erdverkabelung stehen, ist das
Magnetfeld höher als unter einer Freilandleitung», erklärt Gunde
Ziegelberger vom Bundesamt für Strahlenschutz. Wenn man sich
entfernt, nehme die Stärke aber beim Erdkabel schneller ab. Die
Entscheidung, Erdkabel zu bevorzugen, sei «psychologisch». Das war
vor allem auf Druck Bayerns so entschieden worden, es macht den Bau
der großen Leitungen Südlink und Südostlink teurer und schwieriger.

Welche Bedenken gibt es abgesehen von Gesundheitsrisiken?

Naturschützer kritisieren unter anderem, dass Vögel wie Kraniche,
Schwäne oder Adler gegen die Leitungen fliegen. Schneisen, die in
Wälder geschlagen werden, durchschnitten die Lebensräume von Tieren,
sagt Eric Neuling vom Naturschutzbund Nabu. Sensible Gebiete wie
Biosphärenreservate, Moore oder naturnahe Wälder müssten verschont
werden. Landwirte sorgen sich unter anderem um ihre Böden - sie
fordern, beim Vergraben von Erdkabeln die Erde zu schonen, und
beklagen fehlende Erkenntnisse etwa zur Wärmeentwicklung. Außerdem
gibt es Streit um Entschädigungen für Landeigentümer.

Wie kommt der Stromnetzausbau eigentlich voran?

Lange galt der Leitungsausbau als Achillesferse der Energiewende,
vielen geht es auch jetzt noch zu langsam. «Wir haben Nachholbedarf»,
sagt Jochen Homann, der Präsident der Bundesnetzagentur. Die beiden
großen «Strom-Autobahnen» Südlink und Südostlink sind noch in
Planung. Bis 2025 sollen sie fertig sein. Die Betreiber haben Routen
vorgeschlagen. Dazu gab es Antragskonferenzen, auf denen sie
diskutiert wurden - über den genauen Verlauf wird nun entschieden.
Ansonsten: Von 5900 Kilometern Leitung im Bundesbedarfsplangesetz
sind erst 150 Kilometer realisiert, von weiteren 1800 Kilometern aus
dem Energieleitungsausbaugesetz 700 Kilometer.